Matschpoint für den Sylter Meeresschlick: Mit seinen Inhaltsstoffen und seiner Eigenschaft als Wärmeträger hat er eine enorme Heilkraft.
Autorin: Jutta Vielberg
Fotos: Holm Löffler
Mit Wellness-Behandlungen kennt er sich aus, zumindest mit denen, die seinem alten VW Käfer guttun. Jochen Neumann rollt unter seinem «63er» hervor und richtet sich langsam auf. Stundenlang kümmerte er sich mal wieder rücklings um das, was Nordseeluft und Salzwasser im Laufe der Jahre mit einer alten Karosserie anstellen. «Du kannst gar nicht so schnell schweissen, wie neue Löcher dazukommen», sagt der Sylter, der sich an diesem Tag ähnlich eingerostet fühlt. Der Rücken schmerzt, die Schultern spannen und überhaupt, Wärme würde jetzt vermutlich guttun. Er schiebt das Schweissgerät zur Seite und hat schon eine alternative Wärmequelle im Blick. «Ich würde ja gerne mal den Schlick da draussen ausprobieren. Also im Hinblick auf seine medizinische Wirksamkeit. Soll Wärme gut speichern können und die Muskulatur entspannen.» Kurzerhand schnappt er sich Spaten und Eimer und zieht los Richtung Watt.
Es ist Niedrigwasser, das Wasser hat sich zurückgezogen und eine dunkle Schlickwüste hinterlassen. Kaum zu glauben, dass all das, was sich über die Salzwiesen bis zum Horizont ausbreitet, gesund ist. Herr Neumann steigt über Lahnungen und durchquert kleine Gräben. Sein Revier, hier kennt er sich aus, jahrelang führte er Gruppen durchs Rantumer Watt, heute ist er in seiner Funktion als Landschaftswart häufig hier draussen. «Die Schlickschicht ist quasi die Essenz aus Ebbe und Flut. In den küstennahen Bereichen, die nicht mehr regelmässig von der Nordsee überspült werden, ist die Strömungsgeschwindigkeit am niedrigsten und die Ablagerung der Schwebeteilchen am stärksten. Die Schlickschicht ist damit am dicksten.» Es ist so schlickig, dass er bis zu den Waden einsackt und ordentlich Kraft einsetzen muss, um einen Gummistiefel vor den nächsten zu setzen. «Gute Konsistenz», beurteilt er fachmännisch und beginnt, die schwarze Masse in seinen Eimer zu füllen. Sie ist zäh und riecht modrig, ein bisschen verfault. «Das ist der Schwefelwasserstoff, den man jetzt riecht. Und ausserdem ist Schlick ja nichts anderes als eine Ablagerung fein gemahlener Mineralien und abgestorbener Pflanzen.» Wieder zu Hause angekommen, versucht er, den Brei auf seinem Rücken zu verteilen. Aber trotz der klebrigen Konsistenz lässt sich der Schlick nicht gut auftragen. Selbstversuch vorerst gescheitert. Höchste Zeit, sich an die Profis zu wenden.
Mit Rücken und einer Ladung Schlick macht sich Herr Neumann am nächsten Tag auf den Weg nach Westerland ins Syltness Center. «Ist doch zu schade, ihn einfach wegzukippen.» Das sieht Simone Buhs ähnlich. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet sie hier als medizinische Bademeisterin und weiss sehr genau um das Heilpotenzial eines jeden Kilogramms. Mit spitzen Fingern nimmt sie den Eimer entgegen. «Das hatten wir hier noch nie, dass jemand seinen Schlick selbst mitbringt. Einen Preisnachlass gibt es aber nicht», macht sie gleich klar und empfiehlt stattdessen eine Warm-Anwendung mit bereits aufbereitetem Schlick. «Unser Heilschlick wurde mikrobiologisch gereinigt, ohne ihm seine natürlichen Bestandteile und Mineralstoffe zu entziehen. Und weil er in handlichen Vlies-Platten zu uns kommt, können wir natürlich ganz anders arbeiten.» Überzeugt! Einmal die kleine Schlickpackung für den Rücken, bitte.
Während Herr Neumann im weissen Bademantel in eine der drei Schlickkabinen geführt wird, bereitet Frau Buhs das sogenannte Wärmebett vor. Aus einer Schranktruhe entnimmt sie rote Wärmeträgerplatten, die im Wasser auf 51 Grad vorgeheizt wurden, und legt sie auf die Liege. Darüber breitet sie die rechteckigen und geruchsneutralen Schlick-Platten aus, ebenfalls erwärmt auf knapp 40 Grad. «Wärme entspannt die Muskulatur, regt die Durchblutung und den Stoffwechsel an und öffnet die Hautporen für die Aufnahme der Mineralien», erklärt Frau Buhs. Auch Herr Neumann kommt nun langsam auf Betriebstemperatur, auf der Liege in Decken eingepackt steht ihm der Schlick sprichwörtlich bis zum Hals. «Wie in der Sauna, nur bequemer, entspannter», befindet Herr Neumann, auf dessen Stirn sich bereits die ersten Schweissperlen sammeln. Schlick kann Wärme gut und lange speichern und gibt sie langsam ansteigend ab – im Gegensatz zu Fango, dem ebenfalls gerne bei Rücken-, Schulter- und Nackenschmerzen eingesetzten Mineralschlamm vulkanischen Ursprungs: Er wird heiss aufgetragen und kühlt dann ab. «Wir haben viele Gäste, die im Rahmen ihrer Badekur Fango- und Schlickpackungen verordnet bekommen», erklärt Frau Buhs. «Im medizinischen Bereich des Syltness Centers gehören sie zu den beliebtesten Anwendungen.»
Seit zehn Minuten schon brütet Herr Neumann über seinen Schlick-Platten. Und obwohl mittlerweile eine Temperatur von 42 Grad erreicht ist, behält er einen kühlen Kopf. Schlick hat die Eigenschaft, Wärme sehr lange zu speichern. Dadurch kommt es zu einer langsamen und vor allem schonenden Erwärmung der Haut und der tiefer liegenden Gewebsschichten. «Eine Schlickpackung von 42 Grad wird nicht heisser empfunden als ein 37 Grad warmes Wasserbad und es kommt gleichzeitig zu einer nachhaltigen Erwärmung des gesamten Organismus. Die Körpertemperatur nimmt um ein Grad zu, der gesamte Stoffwechsel wird um circa zehn Prozent erhöht und die Durchblutung extrem verbessert.» Nach 15 Minuten wird Herr Neumann vorsichtig ausgepackt und von Schlickresten befreit. «Herrlich, ich fühle mich wie neugeboren.» Operation Schlickanwendung gelungen. Und während er sich im Ruheraum zurücklehnt und das neue Körpergefühl geniesst, denkt er schon wieder über seine alte Karosserie nach: «Ob der Schlick meinem Käfer wohl auch guttun könnte?» Alte Liebe rostet eben nicht.
Day Spa Syltness Center in Westerland
Am besten gleich zu den Profis. Nicht nur ist es verboten, Schlick aus dem Wattenmeer, das seit 2009 als UNESCO Weltnaturerbe geführt wird, privat abzubauen. Auch ist der aufbereitete Heilschlick, wie er im Syltness Center verwendet wird, frei von unangenehmen Gerüchen. Seine natürliche Heilkraft wird eingesetzt bei Hauterkrankungen, rheumatischen Erkrankungen des Bewegungsapparates oder Gelenkerkrankungen. Man kann wählen zwischen der Schlickpackung im Softpack sowie der mittleren und grossen Schlickpackung, wobei die Ganzkörperschlickpackung nur mit ärztlicher Verordnung gebucht werden kann.
Alle Informationen rund um den Urlaub auf Deutschlands nördlichster Insel finden Sie auf www.sylt.de.
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