Es gibt Künstler mit einer Inselbegabung und es gibt Inseln, die begabten Künstlern als Ausstellungsfläche dienen. So das kleine Vallisaari Island, das die diesjährige Helsinki Biennale beherbergt. 41 Künstler aus aller Welt nutzen den einstigen Militärstandort vor den Toren der finnischen Hauptstadt, um zwischen ausgedienten Baracken und Munitionsdepots aus dem 18. Jahrhundert mit ihren zeitgenössischen Kunstwerken und Installationen zu begeistern und zu polarisieren sowie hier und da zu Diskussionen oder Kopfschütteln anzuregen.
Gezeigt werden 75 Kunstwerke und Installationen, die sich unter dem Motto „The same Sea“ („Das gleiche Meer“) auf unterschiedlichste Art und Weise mit der Kulturgeschichte, der geopolitischen Lage und der vielfältigen Umgebung von Vallisaari auseinandersetzen.
„Diese Biennale verkörpert die Stärke und den Ehrgeiz von Helsinkis Kunstszene und seine Position in der Welt als eine Stadt, die Kreativität schätzt und fördert“, freut sich nicht nur Helsinkis Bürgermeister Jan Vapaavuori, dass die Veranstaltung ungeachtet coronabedingter Einschränkungen in diesem Jahr stattfinden kann und Kunstliebhaber aus aller Herren Länder noch bis zum 26. September 2021 in ihren Bann zieht.
Insgesamt finden sich vor Helsinkis Toren 300 Schären-Inseln. Vallisaari nimmt hier als langjährige Militärbasis eine Sonderstellung ein und darf überhaupt erst seit dem Jahre 2016 betreten werden. Ab 1808 hatten zunächst die russischen Besatzer hier einen Stützpunkt errichtet und mit dem Bau von Befestigungsanlagen, die in Teilen noch immer existieren, begonnen. Nachdem Finnland 1917 die Unabhängigkeit erlangte, nutzte die finnische Armee die Insel als Waffen- und Munitionslager. Zwischenzeitlich lebten auch einige Zivilisten auf Vallisaari und es gab sogar eine eigene Schule.
Noch heute ist das Bewegungsspektrum in dem ehemaligen militärischen Speergebiet stark eingeschränkt. Abseits des Wegnetzes besteht für rund 80 Prozent der Inselfläche Betretungsverbot. Grund ist die Vermutung, dass sich im bewaldeten und üppig bewachsenen Teil des Islands noch explosive Stoffe befinden könnten, die unvermittelt in die Luft gehen könnten. Daher sind Gäste der Insel streng gehalten, sich ausschließlich auf den ausgewiesenen Wegen zu bewegen.
Auch ein kleiner See mit Trinkwasser, der scheinbar zum Eintauchen der Füße oder einem spontanen Bad einlädt, darf nicht betreten werden. Hier haben die einstigen Inselbewohner ihren Müll und möglicherweise gefährliche Stoffe entsorgt. Zumindest die dort lebenden Krebskolonien scheint dies allerdings wenig zu stören.
Im Kontext der Insel-Geschichte wurden die meisten Kunstwerke der diesjährigen Biennale speziell für die Orte geschaffen, an denen sie platziert sind. So begrüßt im Norden von Vallisaari die Installation „Quay 6“ von Jaakko Niemelä die Kunstliebhaber, wenn sie mit der Fähre vom Festland aus ankommen. Das sechs Meter hohe Gerüst mit Dachplatte soll den prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels und die daraus resultierenden Gefahren widerspiegeln, sollte das nördliche Eisschild Grönlands vollständig verschwinden.
Derweil will die Videoinstallation „Lost Islands“ von Samir Bhowmik mit imaginären unterirdischen Kabeln anschaulich vor Augen führen, wie sich der Mensch die Natur zu eigen macht, ohne dabei mögliche Konsequenzen vor Augen zu haben. Direkt an einem felsigen Küstenabschnitt hat Alicija Kwade acht marmorierte Steinkugeln spektakulär in Szene gesetzt. Ihr Werk „Pars pro Toto“ soll Planeten unseres Sonnensystems darstellen.
Künstlerin Dafna Maimon lädt unterdessen zu einem ungewöhnlichen Gang durch ein Kellergewölbe ein, das in ein Verdauungssystem umgewandelt wurde. Und Hanna Tuulikkis’ Videoinstallation befasst sich mit dem Konzept von „metsänpeitto“ (Waldbedeckung), einem Phänomen in der finnischen Folklore, bei dem Menschen in der Natur verschwinden, Orte fremd werden und sich alles rückwärts bewegt.
Laura Könönen hat für „No heaven up in the sky“ die Oberflächen von verschieden großen Steinen mit Blau überzogen, während Katharina Grosses für „Shutter Splinter“ das alte Schulhaus der Insel nebst dem umgebenden Laub und Gehölz farbig gestaltete. Das einsturzgefährdete Gebäude wird nach der Biennale demontiert; die verbleibenden Spuren des Gemäldes werden langsam verschwinden, wenn die Vegetation ihren neuen jahreszeitlichen Zyklus beginnt.
Tadashi Kawamata hat mit seinem Leuchtturm auf einem ehemaligen Aufzugsschacht ein temporäres Wahrzeichen aus auf Vallisaari gesammeltem Schrott errichtet, das von der benachbarten Insel Suomenlinna ebenso zu sehen ist wie vom Hafen von Helsinki.
Auf der Ostseite von Vallisaari steht mit Alicja Kwades „Big Be-Hide“ das wohl populärste Kunstwerk der Biennale auf einem schmalen Landstreifen, der Vallisaari mit der Nachbarinsel Kuninkaansaari verbindet. Die Skulptur besteht aus zwei Steinen – einer, der auf Vallisaari gefunden wurde und ein künstlicher Stein, der mit Silber überzogen wurde. Die beiden Brocken sind auf je einer Seite eines Spiegels platziert und sorgen für kuriose optische Effekte. Das Werk selber soll Fragen über unseren Platz im Universum aufwerfen und die ständige Veränderung der natürlichen Welt dokumentieren.
Einige Kunstwerke der Biennale befinden sich zudem auf dem Festland in der Innenstadt von Helsinki. Darunter Janet Echelmans Luftskulptur „1.78“, die über dem zentralen Senatsplatz am Fuße der Dom-Kirche, dem Wahrzeichen der finnischen Hauptstadt, schwebt und mit Unterwassergeräuschen von Vallisaari akustisch in Szene gesetzt wird. Weitere Informationen zur Helsinki Biennale unter www.helsinkibiennial.fi.