Bärlauch, Holunderblüte, Basilikum und Lorbeer. Was am Kapellenplatz 5 in Rothenburg ob der Tauber auf den Tellern und vor allem in den Cocktailgläsern landet, wird innerhalb der Stadtmauern angebaut. Denn die vegane Bar Mucho Amor und ihr Inhaber, die Cocktail-Ikone Simon Kistenfeger, setzen auf regionale Produkte und den heimischen Familiengarten. Doch nicht nur der Nutzgarten mit seinen zahlreichen Gemüse- und Beerensorten sowie den Birnen-, Apfel und Walnussbäumen regen zum Träumen an. Direkt an der Stadtmauer laden lauschige Plätzchen zum Verweilen und Genießen ein.
Der Garten der Familie Kistenfeger ist nur einer von zahlreichen Privatgärten in Rothenburg, die von Mai bis September bei individuellen Führungen mit den Gartenbesitzern besucht werden können. Fernab vom lebhaften Treiben in den Gassen der Altstadt, meist hinter hohen Toren oder in Innenhöfen versteckt, vermutet kaum einer die üppigen Gartenanlagen. Über Jahrhunderte dienten diese als Spiegel von Glaubens- und Gesellschaftsordnungen ganz nach dem Motto: je kostbarer und exotischer die Pflanzen, desto größer die Macht. Für die Mittelschicht hatte die Produktion von Lebensmitteln Vorrang; das gehobene Bürgertum gab sich in den Gärten der Erholung, der Kunst und dem Naturgenuss hin. So auch in Rothenburg ob der Tauber. Die Lage der Gärten weist noch heute auf einstige Standesunterschiede hin: Ein Garten in der Altstadt wie etwa in der Herrengasse war nicht für jedermann erschwinglich, Gartenareale vor den Toren der Stadt galten dann als annehmbare Alternative. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war Rothenburg ob der Tauber von der Landwirtschaft geprägt. Äcker zum Anbau von Kartoffeln und Gemüse sowie Streuobstwiesen bestimmten das Bild in den Gärten der Stadt – auch innerhalb des Mauerrings. Doch mehr und mehr hielten auch Ziergärten Einzug und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg suchten die Rothenburger Bürger Ruhe und Erholung in den privaten Gärten. Aber auch den Landschaftsgärten wie etwa dem Burggarten mit seinen idyllischen Ausblicken auf das Taubertal kam eine gesteigerte Bedeutung als Rückzugsort zu.
Doch nicht nur die Geschichte an sich ist ein Beleg der immensen Bedeutung der Rothenburger Gärten. Historische Besonderheiten sind auch im 21. Jahrhundert allgegenwärtig. So gibt es im Garten von Familie Wittstatt einen Durchbruch durch die Stadtmauer. Am Kummereck, im Garten von Herrn Laux und Herrn Wiegner, führt ein eigener Weg in die Altstadt. Und die Grundmauern des Fachwerkhauses im Garten von Familie Heller datieren gar auf das 15. Jahrhundert; damals noch vom Mehlwaagmeister genutzt, der das Mehl der Mühlen aus dem Taubertal auf seine Reinheit überprüfte und schließlich die Mehlpreise festlegte.
Die Nutzung der Gärten könnte nicht vielfältiger sein: Hier wird mit Naturfarbstoffen gefärbt, dort fungiert ein romantisches Häuschen als Atelier für Rothenburger Künstler. Das turmartige Kämmerlein im Garten der Familie Heller lädt sogar zum Verweilen über Nacht ein. Werke von Kurt Grimme, Angelika Summa, Georg Weidauer und Herbert Mehler machen den Innenhof des Wittgensteinhauses zu einem Ausstellungsraum unter freiem Himmel – umgeben von Efeu, Rosen und Farnen.
Zu den Themenjahren „Pittoresk – Rothenburg ob der Tauber als Landschaftsgarten“ öffnen die Rothenburger Gärtner und Gärtnerinnen ihre Pforten, geheimen Zugänge und hohen Tore zu zahlreichen privaten Gärten. Öffentliche Anlagen wie der historische Klostergarten – einstiger Heilkräutergarten der Dominikanerinnen –, der Park des Wildbads – architektonisches Musterbeispiel des Pittoresken – sowie der asiatische Lotosgarten mit asiatischem Wassergarten, Teehaus und Pagoden-Pavillon vervollständigen das Bild Rothenburgs als Gartenparadies.
In den Monaten Mai bis September führen die jeweiligen Gartenbesitzer persönlich Besucher durch ihre grünen Oasen. Die Rundgänge sind kostenlos, eine Anmeldung mindestens sieben Tage vor dem gewünschten Termin ist jedoch erforderlich.
Weitere Informationen unter www.rothenburg-tourismus.de
„Pittoresk – Rothenburg als Landschaftsgarten“
Schon um 1900 inspirierte Rothenburg ob der Tauber namhafte Architekten der Gartenstadtbewegung – weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Architektur der Stadt in Mittelfranken sowie die Einbettung in die Landschaft im Allgemeinen und das Taubertal im Speziellen diente als positives Beispiel für eine gelungene Stadtentwicklung. Im Rahmen der Themenjahre „Pittoresk – Rothenburg als Landschaftsgarten“ zeigt die Stadt nicht nur ihre Privatgärten, die sich zum ersten Mal für Besucher von außerhalb öffnen. Auch zwei Ausstellungen im RothenburgMuseum widmen sich dem Thema Rothenburg als Landschaftsgarten. Darüber hinaus schafft im örtlichen Wildbad das Grazer Breathe Earth Collective im Rahmen eines Arts in Residence Programmes eine Verbindung zwischen Landschaftspark und Kunst.