Majestätisch und überraschend grün erhebt sich der Vesuv in Sichtweite des Golfs von Neapel. Exakt 1.281 Meter ragt er scheinbar friedlich gen Himmel. Dabei ist der berühmte Vulkan irgendwie Bösewicht und Held zugleich. Denn der feuerspeiende Berg, der letztmalig im Jahre 1944 ausgebrochen ist, zerstörte bei einer gewaltigen Eruption im Jahre 79 nach Christus das rund zehn Kilometer entfernte liegende Pompeji. Die meterhohe Vulkanasche war Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil sie die Stadt zerstörte und rund 2.000 Bewohner, die nicht schnell genug fliehen konnten, mit in den Tod riss. Segen, weil die Asche gleichzeitig über die Jahrhunderte weite Teile des heutigen Weltkulturerbes konservierte.

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts gelang die systematische Freilegung der auf einem Hügel liegenden Stadt, in der in Hochzeiten bis zu 18.000 Menschen lebten. Die behutsam offen gedeckten Reste von Geschäften, Restaurants, Thermen, Wohnhäusern und des Amphitheaters zeugen sehr zur Freude von Archäologen und Wissenschaftlern von der hochentwickelten Kultur in römischer Zeit. Säulen und Fresken, aber auch die versteinerten Leichname einiger Opfer erzählen auf beeindruckende Art und Weise von den letzten dramatischen Stunden, bevor die Stadt durch den Ausbruch des Vesuvs förmlich ausgelöscht wurde.
Heute ist Pompeji mit rund 3,5 Millionen Besuchern pro Jahr nicht von ungefähr die meistbesuchte Attraktion in ganz Italien. Entsprechend schiebt sich die Lawine der kulturbeflissenen Geschichtsjünger im Schneckentempo eines verlangsamten Lavastroms durch die famose Ausgrabungsstätte. Zu einem der populärster Anlaufpunkte avanciert dabei kurioserweise ein ehemaliges Bordell ist. Hier mussten Sklavinnen aus aller Herren Länder zwangsweise ihre Liebesdienste anbieten.
Da die bemitleidenswerten Damen zumeist der Sprache der Einheimischen nicht mächtig waren, wurden Bilder mit verschiedenen Stellungen für den Liebesakt an die Wände gemalt. Hier konnten die Freier dann mit einem Fingerzeig auf die in Teilen noch immer gut erhaltenen Motive ihre sexuelle Vorliebe einfordern.

Und während bei den alten Römern gemeinhin der Penis als Symbol für Fruchtbarkeit und Glück galt, wurde dieser in Pompeji an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet als Wegweiser zum Bordell in den Boden eingearbeitet oder auf Hauswänden angebracht. Auch die Heerscharen von Souvenirverkäufern, die vor den Eingangstoren der Ausgrabungsstätte lauern, scheinen die Idee mit dem männlichen Geschlechtsteil erfolgreich aufzugreifen. Kein Stand, an dem nicht Figuren, Keramik, T-Shirts, Geschirrtücher oder Schürzen mit einem „antiken“ Phallussymbol feilgeboten werden. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Den Händlern ist es jedenfalls egal, Hauptsache es klingelt in der Kasse.
Doch zurück zu der antiken Stadt in der Nähe von Neapel. Dabei steht der Name Pompeji gleichzeitig für eine Tragödie und die Wiederauferstehung einer Legende. Der spuckende Vulkan, dessen nächste Eruption gemäß Einschätzung von Experten in den kommenden acht bis zehn Jahren bevorstehen könnte, hat einen Moment der Menschheitsgeschichte, einem Moment zwischen blühendem Leben und tragischen Tod quasi eingefroren. Wobei Asche und Lava das ewige Eis ersetzten. Der überaus mürrischen Laune der Natur ist es zu verdanken, dass es heute möglich ist, ein Stück des Alltags vor fast 2.000 Jahren anschaulich zu rekonstruieren.
Die gut erhaltene Stadtstruktur und die noch immer beeindruckenden Villen der Reichen und Mächtigen vermitteln einen genauen Einblick in das Leben in längst vergangenen Zeiten, als Pompeji ein wichtiger Handelsplatz war. So haben die archäologischen Ausgrabungen nicht nur gute erhaltene Gebäudeteile, sondern auch Alltagsgegenstände, Kleidung, Waffen, Mosaike, Reliefs und Inschriften ans Licht gebracht. Vor diesem Hintergrund fungieren die freigelegten Häuser, Straßen, Tempel, Geschäfte und öffentlichen Bäder als ein Fenster in die Vergangenheit.

Herzstück von Pompeji ist das weitläufige Forum. Der 142 Meter lange und 38 Meter breite Platz wird von Säulenhallen, marmorverzierten Villen, Verwaltungsgebäuden und den Ruinen des Jupitertempels, dem Tempio di Giove, gesäumt. Wie zum Hohn ist von fast allen Stellen des Forums aus der Vesuv zu sehen.
Gleichzeitig verdeutlicht der Anblick, dass sich die Geschehnisse des Jahres 79 nach Christus jederzeit wiederholen könnten. Denn der brodelnde Vulkan ist weiterhin aktiv. Noch dazu verläuft er unweit von zwei Kontinentalplatten, deren konstante Bewegung einen möglichen Ausbruch beschleunigen könnte.

Nicht von ungefähr wurden mit Blick auf das knapp 20 Kilometer entfernte Zentrum von Neapel verschiedene Evakuierungszonen eingerichtet. Entsprechend steht der Vesuv unter ständiger Beobachtung, damit es in der nahen Millionenstadt kein böses Erwachen gibt wie einst im Pompeji.
Während an der mit großen, blank getretenen Pflastersteinen ausstaffierten Via dell’Abbondanza, der Hauptstraßenachse von Pompeji, kein Weg vorbei führt, wartet das 66 Hektar große Areal mit nicht weniger als 3.000 Gebäuden und Ruinen auf. Eine schier gigantische Zahl. Nicht wenige, die sich ohne Führung auf eigene Faust auf Entdeckungstour begeben, sind ob der Qual der Wahl schlicht überfordert. Neben dem Forum und dem Amphitheater sollte der Rundgang unbedingt den Garten der Flüchtenden (Orto dei Fuggiaschi) umfassen. Hier sind die Abgüsse von 13 Menschen, die beim Vulkanausbruch ihrer Leben lassen mussten, zu sehen.
Spannend ist fraglos zudem der Blick in die Stabianer Therme (Terme Stabiane). Das älteste Bad Pompejis datiert wohl aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Neben einem Schwimmbecken zählte die an der Via dell’Abbondanza gelegene Einrichtung ein Männer- und ein Frauenbad sowie zahlreiche Einzelkabinen mit Badewannen und Latrinen. Auch ein Schwitzbad fehlte nicht. Derweil wissen etwa das Haus der Vettier (Casa di Vetti), das knapp 2.500 Quadratmeter große Haus des Faun (Casa del Fauno) mit seinen gut 40 Räumen oder das Haus des Dioskuren (Casa di Dioscuri) mit prächtigen Mosaiken und Wandmalereien zu begeistern. Alles gut erhalten. Dem Vulkanausbruch sei Dank.
Informationen: https://pompeiisites.org
Öffnungszeiten: Die Besucherströme sind begrenzt. Von 9 bis 13 Uhr werden maximal 15.000 Besucher auf das Gelände gelassen; von 13 bis 17:30 Uhr maximal 5.000.
Eintritt: Der Eintrittspreis beträgt 22 Euro