Krise, Alarm, Stress: Seit mehr als einem Jahr ist kaum noch etwas so, wie es vorher war. Die ungewohnte Belastung und die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse setzen viele Menschen unter Druck, manche von ihnen entwickeln chronischen Stress. Wie man aus diesem „Dauerfeuer“ ausbricht und wieder stark wird, erklärt Dr. med. Cordula von der Ropp, Fachärztin für Innere und Allgemeinmedizin und Expertin für Naturheilverfahren mit Schwerpunkt auf die Kneipp-Lehre. „Die positive Wirkung der Reiz-Therapie auf Körper und Seele ist wissenschaftlich erwiesen“, weiß die 51-Jährige. „Kneipp ist sozusagen Wellness für Fortgeschrittene“. Wer die ganzheitliche Lehre, die übrigens auch ideal dafür sorgt, dass man gar nicht erst in den Erschöpfungszustand kommt, ausprobieren möchte, findet unter www.gesundes-bayern.de passende Angebote.
Was genau ist eigentlich chronischer Stress?
Es gibt zwei Arten von Stress: den guten, kurzzeitigen und den schlechten, der über einen langen Zeitraum belastet und der sich nicht so einfach aus der Welt schaffen lässt. Der gute Stress ist motivierend, aktiviert das Immunsystem und lässt uns wach und aufmerksam sein. Schlechter Stress hingegen überfordert und ängstigt Menschen. Er führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten und kann verschiedene Auswirkungen auf Körper und Seele haben.
Wie merken wir, dass der Stress vom alltäglichen in den chronischen umschlägt?
Der Körper befindet sich in einer Art Dauerfeuer, wenn man unter dem chronischen Erschöpfungssyndrom leidet. Dadurch geraten die natürlichen Reaktionen auf Stress aus dem Gleichgewicht. Als Schutzmechanismus verhält sich der Körper so, als wäre er krank und sendet entsprechende Botenstoffe ans Gehirn. Chronischer Stress kann sich in körperlicher Erschöpfung zeigen, also dauernder Müdigkeit, Schlafstörungen, einem geschwächten Immunsystem oder Magen-Darm-Beschwerden. Auch geistig-mentale Erschöpfung kann ein Zeichen sein: Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, der Verlust von Kreativität sowie eine negative Einstellung sich selbst gegenüber gehören hier zu den Symptomen. Emotionale Erschöpfung hingegen zeigt sich in dem Gefühl, dass alles zu viel wird, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und innerer Leere, aber auch in Reizbarkeit. Auch die soziale Erschöpfung kann hinter chronischem Stress stecken: der Rückzug von Verwandten, Freunden und Kollegen, Verständnislosigkeit anderen gegenüber und die nicht mehr vorhandene Fähigkeit, anderen zuzuhören sind Symptome hierfür.
Warum reagieren nicht alle Menschen gleich auf dieses Dauerfeuer von außen?
Es kommt darauf an, wie resilient Menschen sind. Die aktuelle Situation setzt vielen zu, sie befinden sich in andauernder Alarmstimmung. In normalen Zeiten können Beziehungsprobleme Auslöser für chronischen Stress sein, Situationen, die man nicht schnell lösen kann. Auch andere Belastungen in der Familie, etwa wenn ein naher Verwandter schwer krank ist oder gepflegt werden muss, sorgen für chronische Erschöpfung. Schwierige Situationen im Job belasten die Menschen oft ebenfalls stark – auch das kann in chronischen Stress umschlagen. Abhängig von der individuellen Resilienz, der psychischen Widerstandskraft, wird schließlich aus einer andauernden Belastung Dauerstress.
Für Sie ist die Naturheillehre „Wellness für Fortgeschrittene“. Schließt sich das von den Begrifflichkeiten nicht per se aus?
In der Zeit nach Pfarrer Sebastian Kneipp wurde seine Lehre auf fünf Säulen gestellt: die Hydrotherapie, die Ernährung, die Bewegung, die innere Ordnung und die Nutzung von Heilkräutern. Sie zusammen bringen Körper, Geist und Seele in Balance. Das könnte man „Wellness für Fortgeschrittene“ nennen: Wellness bedeutet dabei einfach die Zuführung von Energie und kann bei sehr erschöpften Menschen zunächst sinnvoll sein. Nachhaltig wirksam dagegen ist erst die Reiz-Reaktions-Therapie – das kalte Wasser etwa.
Ja, das kalte Wasser. Das ist wohl für die meisten Menschen DAS Kneipp-Bild schlechthin. Wie wirkt es denn eigentlich genau?
Auf die Temperaturdifferenz des flächig aufgebrachten Wasserreizes reagiert unser Körper auf vielfältige Weise: die Steigerung der Durchblutung alleine hat schon Folgewirkungen wie die Anregung des Stoffwechsels und die Senkung des Blutdrucks, vor allem des systolischen Wertes. Zudem werden Prozesse auf zellulärer und humoraler Ebene in Gang gesetzt. Botenstoffe des Immunsystems wie Interleukine werden freigesetzt und führen zur Stärkung des Immunsystems.
Die Effekte der Steigerung von Resilienz, der Stabilisierung der Psyche sowie der Reduktion von Schmerzen ist über die beschriebenen Effekte hinaus auf das zurückzuführen, was wir als „Roborierung“ oder Pfarrer Kneipp früher als „Abhärtung“ bezeichnet hat.
Diese geschieht nicht nur durch die Warm-Kalt-Reize der Hydrotherapie, sondern aus der Bewegungsforschung wissen wir, dass auch sportliche Betätigung ein „Reiz“ darstellt, auf den unser Körper spezifisch reagiert. Auch hier findet die wichtigste Reaktionsphase nach dem Reiz statt. Die Erholungsphase ist sportphysiologisch eine wichtige Phase, da der Körper dabei die Bewegungsreize verarbeitet. Durch den Stressreiz „Bewegung“ wird das Immunsystem auf Hochtouren gebracht, d.h. trainiert. Genauso sollten wir uns die Gelegenheit des „thermischen“ Trainings nicht entgehen lassen, es kostet uns nur wenige Minuten nach der Dusche zu Hause.
Auszeit Kneipp-Reha – was erwartet mich da konkret?
Um gezielte und individuelle Naturheilverfahren verordnen zu können, werden unsere Gäste eingehend medizinisch untersucht, Vorerkrankungen werden natürlich berücksichtigt. Und dann geht es los mit unserem Programm, behutsam und unter fachkundiger Anleitung. Die Hydrotherapie beginnt mit kleinen Reizen, die im Verlauf je nach Reaktion stufenweise gesteigert werden können. Um die innere Ordnung wiederherzustellen, geben erfahrene Psychologen in Einzelgesprächen oft sehr konkrete Ratschläge, wie man mit belastenden Situationen im Alltag umgehen kann. Die Köche setzen in einem „Kneipp-Menü“ auf regionale und saisonale gesunde Kost. Auch Bewegung in ihren vielfältigen Formen unter anderem in der Natur gehört zum Tagesablauf.
Wie lange brauche ich, um mit Kneipp wieder fit zu werden?
Es gibt kein Hauruck-Verfahren, um chronischen Stress abzubauen. Es dauert mindestens so lange, wie sich das Syndrom aufgebaut hat, um es wieder in den Griff zu bekommen. Oft ist aber nach einer Woche, in der die Kneipp-Verfahren angewendet werden, ein spürbarer Effekt zu merken. Dennoch sind die drei Wochen, die unsere stationären Rehas dauern, eine gute Zeit, um den Körper und damit die Seele zu stärken. In schweren Fällen wird die Rehabilitation häufig eine vierte Woche verlängert.
Um die Wirkung über ein paar Monate hinaus zu verlängern, sollten Kneipps Ideen auch daheim angewendet werden. Wie gut lassen sie sich im täglichen Leben umsetzen?
Unsere Stammgäste berichten uns, dass die Veränderungen zwischen einem halben und manchmal sogar einem ganzen Jahr anhalten. Wenn sie selbst ihr Leben insoweit ändern, dass sie möglichst viel aus Kneipps Lehre in ihr tägliches Leben einbauen, kann sich die Wirkung und Dauer verstärken. Frische und unverarbeitete Lebensmittel zu kaufen ist nicht sehr kompliziert. Auch Reize wie etwa Wechselkniegüsse in das tägliche Duschritual einzubauen, ist schnell und unkompliziert auch für junge Gesunde machbar. Dasselbe gilt für regelmäßige Bewegung. Und was die innere Ordnung betrifft, halten wir es mit Pfarrer Sebastian Kneipp: Alles im richtigen Maß!
Weitere Infos: www.bayern.by/kneipp/cordula-von-der-ropp