Molossia – Eine Mikro-Nation mit Spaßcharakter

Karsten-Thilo Raab Von Karsten-Thilo Raab
9 Min. Lesezeit

In der Wüste von Nevada findet sich mit Molossia eine (nicht anerkannte) Mikro-Nation, die sich als amüsantes wie kurzweiliges Kuriositätenkabinett erweist.

Abgesehen von Lummerland mit Alfons dem Viertelvorzwölften gibt es wohl nicht viele Länder, in denen einen das Staatsoberhaupt persönlich begrüßt, geschweige denn sogar die Grenzkontrollen höchstpersönlich durchführt. Und wer bislang glaubte, die USA bestünden aus 50 Staaten, sollte sich nicht nur diesbezüglich täuschen. Denn inmitten der Vereinigten Staaten, genauer im US-Bundesstaat Nevada, versteckt sich mit Molossia ein für das Gros der Weltbevölkerung wohl völlig unbekannter Ministaat. Ein Land mit eigener Währung, eigener Eisenbahn, eigener Armee und im Krieg mit der Deutschen Demokratischen Republik, obschon die DDR bereits seit 1989 nicht mehr existiert.

Molossia, dessen Geschichte bis in das Jahr 1977 zurückreicht, ist mit einer Fläche von 4,5 Hektar etwa so groß wie sechseinhalb Fußballplätze. Neben Insekten und Vögeln zählt die Mikronation genau 40 Lebewesen – vier Hunde sowie 36 Männer, Frauen und Kinder. Tendenz steigend, obwohl Einbürgerungen qua Gesetz kategorisch ausgeschlossen sind. Hintergrund ist allein der Familienzuwachs in Form von Enkelkindern oder neuen Lebenspartnern, der die Bevölkerung in den zurückliegenden Jahren hat anwachsen lassen. Alle Einwohner – mit Ausnahme der schwanzwedelnden Vierbeiner – sind mit dem selbsternannten Staatsoberhaupt Kevin Baugh verwandt. Der ehemalige Soldat der US-Armee ist nicht nur Gründungsvater, sondern auch auf Lebzeiten Präsident der von ihm selbst erfundenen Republik.

Mit Molossia hat sich Baugh seinen eigenen Kindheitstraum erfüllt. Als Sechsjähriger rief er am 26. Mai 1977 gemeinsam mit seinem Freund James Spielman unter dem Namen „Grand Republic of Vuldstein“ (Große Republik von Vuldstein) einen imaginären Spaßstaat ins Leben. Im Geiste haben die beiden Jungs die Idee immer weiter gesponnen. James wurde das Ganze irgendwann jedoch zu langweilig, aber Kevin Baugh hielt weiter eisern an dem Gedanken fest. Als er schließlich im Jahre 1989 in Dayton im Norden von Nevada ein Stück Land erwarb, erwachte der Kindheitstraum zum Leben: Baugh hob die Republik Molossia aus der Taufe und kürte sich selbst zum Staatsoberhaupt auf Lebzeiten.

Was viele als Spinnerei abtun dürften, stuft Baugh als Ausdruck von Kreativität und Phantasie ein: „Schon als Kind wollte ich wissen, wie ein Land funktioniert, was einen Staat genau ausmacht“, wertet der uneingeschränkte Herrscher von Molossia das eigene Handeln ein Stück weit als gelebte politische Satire. Dies drückt sich auch in allerlei Kuriositäten aus: So müssen alle Besucher der Mikronation Zollgebühren entrichten. Die Summe ist dabei nicht einheitlich, sondern besteht schlicht aus dem mitgeführten Kleingeld des Gastes.

Bei der Einreise wird zudem darüber informiert, was in Molossia alles verboten und unerwünscht ist: Der Bogen spannt sich von Schusswaffen, Munition, Sprengstoff, Drogen und Tabak über Glühbirnen, Plastiktüten, Seeteufeln und Walrossen bis hin zu Zwiebeln, frischem Spinat, Missionaren sowie allem, was aus Texas kommt, mit Ausnahme von Kelly Clarkson, jener amerikanischen Popsängerin, Songschreiberin, Schauspielerin, Talkmasterin und Grammy-Preisträgerin. Warum Clarkson hier eine Ausnahme bildet, bleibt im Verborgenen.

Wie es sich für ordentlichen Staat gehört – obwohl dieser nirgendwo offiziell anerkannt ist – hat Molossia eine eigene Flagge und verfügt mit „Fair Molossia is our home“ über eine eigene Nationalhymne, deren Text selbstverständlich aus der Feder von Kevin Baugh stammt. Natürlich darf auch eine eigene Währung nicht fehlen. Diese trägt den klangvollen Namen „Valora“. Das bedeutet „wertvoll“ in Esperanto, das neben Englisch und Spanisch die dritte „offizielle“ Amtssprache der Zwergrepublik ist. Der Wert des auf Pokerchips gedruckten Zahlungsmittels ist an den Wert des Teigs für Pillsbury-Cookies, der in der Molossia-Bank gelagert wird, gebunden.

Das Land hat auch seine eigenen Maßeinheiten: Ein „Norton“ entspricht mit 17,7 Zentimetern der Länge der Hand des Präsidenten; ein Square Royal Norton (sRN) ergibt 2,56 Quadratmeter, während die Gewichtseinheit „Fenwick“ dem entspricht, was ein Stück Pillsbury-Cookie-Teig auf die Waage bringt, nämlich 0,9 Kilogramm. Flüssigkeiten  werden in „Simms“ gemessen, wobei ein Simms etwa 354 Millilitern oder dem Inhalt einer Coladose gleichkommt.

Klimatisch, und das mag wenig überraschend, ähnelt Molossia dem umliegenden Wüstenstaat Nevada mit entsprechend muckeligen Temperaturen. Gemessen wird die Temperatur aber in „Zenda“. So liegt der Siedepunkt von Wasser bei 175,7 Zenda, die durchschnittliche Körpertemperatur bei 65 Zenda. Zudem reklamiert das Land mit der „Molossian Standard Time“ eine eigene Zeitzone für sich. Diese hinkt genau acht Stunden und 39 Minuten hinter der Greenwich Meantime (GMT) her.

„Molossia ist eigentlich ein Dritte-Welt-Land ohne asphaltierte Straßen, einen Flughafen  oder ein eigenes Krankenhaus“, verweist Kevin Baugh auf die anderen Errungenschaften der Mikronation. So gibt es eigene Nationalparks, wenn auch nur in Form von etwas größeren, bepflanzten Beeten, und ein eigenes Schienennetz, hinter dem sich lediglich eine Modelleisenbahn verbirgt. Zudem unterhält das kleine Reich des Baugh-Clans ein eigenes Raumfahrtprogramm, bei dem Spielzeugraketen abgefeuert werden.

Nicht zu vergessen ist zudem die Tatsache, dass sich Molossia bis heute im Krieg mit der DDR befindet, obschon der Arbeiter- und Bauernstaat bereits seit 1989 nicht mehr existiert. Gut, dafür hat Molossia auch keine Armee, aber das ist eher nebensächlich. Während seiner Zeit in der US-Armee war Baugh in den 1980er Jahren zeitweise in Deutschland stationiert. Hier wurde seine Einheit immer wieder wegen möglicher Bedrohung aus dem Osten in Alarmbereitschaft versetzt, was dem Staatsoberhaupt der Mikronation massiv gegen den Strich ging. Kurzum erklärte er der DDR den Krieg.

Der Mauerfall und die deutsch-deutsche Wiedervereinigung haben nichts an dem Kriegszustand verändert. Grund sei, so der Präsident von Molossia augenzwinkernd, dass das kommunistische Kuba 1972 SED-Funktionären aus der Deutschen Demokratischen Republik die kleine, unbewohnte Ernst-Thälmann-Insel geschenkt hat. Das Eiland floss aber nicht beim Vertrag zur Wiedervereinigung Deutschlands mit ein und sei daher, so die Baughsche Logik, bis heute DDR-Territorium. Da passt es ja, dass sich zwei imaginäre Armeen um das sieben Quadratkilometer große Fleckchen vor der kubanischen Küste streiten.

Wer mag, kann die kriegerische Auseinandersetzung sogar durch den Erwerb von Kriegsanleihen, den sogenannten „Molossian War Bonds“ unterstützen. Neben den erhobenen Zollgebühren in Form von Kleingeld eine weitere zentrale wie theoretische Einnahmequelle für das Zwergland in der Wüste von Nevada. Letzteres wiederum kassiert tatsächlich die in den USA obligatorischen Grundbesitzabgaben von Baugh. Doch der Präsident trägt es mit Humor, wertet die Steuern als Entwicklungshilfe für die USA und deren marodes Straßennetz.

Überhaupt nimmt sich Kevin Baugh nicht sonderlich ernst. Gleichwohl stolziert er gerne in Uniform, mit einem Dutzend Orden am Revers, goldfarbenen Schulterklappen, blau-weiß-grünen Schärpe und viel zu großer Kopfbedeckung im Stile größenwahnsinniger Diktatoren und Militärfürsten durch sein Reich. Sein Präsidentenpalast ist eine Holzhütte, die zufällig auch als sein Wohnsitz fungiert. Ohne Frage sind Kevin Baugh und seine Mikronation eine gelebte Parodie auf die Staaten dieser Welt, ein Phantasiegebilde, das mit viel Humor zu einem Ausflug in eine kuriose Parallelwelt einlädt – und ganz sicher kein Platz für Aluhutträger und Verschwörungstheoretiker.

Infomationen: Republic of Molossia, 226 Mary Lane, Dayton, Nevada, USA, www.molossia.org

Lage: Molossia liegt jeweils rund 45 Kilometer  von Reno, Virginia City und dem Lake Tahoe entfernt.

Alle Bilder Copyright: (c) Sydney Martinez – Travel Nevada

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Karsten-Thilo Raab ist freier Reise-Journalist, Autor und Fotograf für eine Vielzahl von Zeitungen, Magazinen und ist immer wieder auch für uns tätig. Zudem hat er als Autor bislang mehr als 120 Bücher verfasst bzw. an diesen mitgewirkt.