Mit dem Tuk-Tuk durch Willemstad

Dushi-Schild
Karsten-Thilo Raab Von Karsten-Thilo Raab
8 Min. Lesezeit

Die wohl schönste Art, das farbenfrohe Weltkulturerbe Willemstad auf der Karibikinsel Curaçao und seine famose Streetart-Szene kennen zu lernen, ist eine Tuk-Tuk-Fahrt durch die Kultviertel Punda, Pietermaai, Scharloo und Otrobanda.

Wandbild im Ausgehviertel Pietermaai

Inwieweit Taxifahrer Eugene typisch für die Vertreter seiner Zunft auf Curaçao ist, darüber lässt sich allenfalls spekulieren. Fakt ist, der dunkelhäutige Schlacks mit der Baseballkappe auf dem Kopf fährt einen überaus heißen Reifen, fast so, als wolle er sich für den Job als erster Formel-Eins-Pilot aus dem Karibikstaat bewerben. Schlimmer noch, während der Fahrt spielt er permanent an seinem Handy in der Hand herum, lenkt mit dem Knie und schreibt dabei Textnachrichten, stöbert im Internet und hat im Display seines Taxis die Filmaufnahmen eines Konzertes von Phil Collins laufen, auf das er immer wieder während der Fahrt einen entzückten Blick wirft. Umso größer ist die Erleichterung, als er schließlich am Rande des Königin-Wilhelmina-Parks in der Inselhauptstadt Willemstad zum Stehen kommt.

In riesigen, weit mehr als mannshohen Lettern funkelt hier der Schriftzug „Curaçao“ mit der Sonne um die Wette. Das Dunkelblau der Buchstaben soll – wie bei der Fahne des Karibikstaates – das Blau des Himmels und des Meeres widerspiegeln, während die gelbe Umrandung für die nahezu ganzjährig scheinende Sonne auf der Insel steht. Vor dem Schriftzug wirkt Stanley Flores fast schon klein, während sein schneeweißes Tuk-Tuk einen hübschen Kontrast zum dominanten Blau bildet.

Curacao-Schriftzug am Königin-Wilhelmina-Park in Willemstad

„Bon Bini na Curacao“, lässt der 72-jährige fröhlich den landesüblichen Willkommensgruß erklingen. Schon schiebt er ein nicht minder fröhliches „Dushi Bida“ hinterher. „Dies bedeute in Papiamento, unserer Landessprache, so viel wie gutes Leben“, erläutert der Glatzköpfige mit dem markanten Schnäuzer auf Englisch. Je nach Zusammenhang könne es auch „schön“, „lecker“ oder „sexy“ bedeuten, so der rüstige Rentner mit Blick auf einen weiteren großen Schriftzug in der Grünanlage mit dem Wort „Dushi“.

„Auf Curaçao und vor allem auch in Willemstad ist alles dushi. Einfach nur schön“, verkündet Stanley mit dem Brustton der Überzeugung. Schon geht es mit dem Tuk-Tuk knatternd durch die Altstadt der 125.000-Seelen-Gemeinde mit ihren zum Teil knallbunten Häusern bis zur Hafeneinfahrt, dem Sint Annabaai. Entlang des Ufers erstreckt sich die als Welterbe unter dem Schutz der UNESCO stehende Handelskade, gerne auch als „Klein Amsterdam“ bezeichnet, mit zahlreichen pastellfarbenen Prachtbauten aus der Zeit, als Willemstad ein florierender Handelsposten der Niederländischen Westindien-Kompanie war.

Villa und Wandbild in Scharloo

„Dass unsere Häuser so bunt sind, verdanken wir dem früheren Gouverneur Albert Kikkert, der im 18. Jahrhundert anordnete, dass die Gebäude nicht weiß sein dürfen“, blättert Stanley ein wenig verbal im Geschichtsbuch der Insel. Der verlängerte Arm der niederländischen Regierung soll angeblich unter Migräne gelitten haben. Die bis dahin weißen Fassaden sollen mit ihren Reflektionen im Sonnenlicht nicht nur ihm Probleme bereit haben. Seither sind fast ausnahmslos als Häuser in zum Teil knalligen Farben bunt angestrichen, was längst zum Wahrzeichen von Willemstad geworden ist.

Künstlerhaus in Otrobanda

An der Hafeneinfahrt befindet sich mit dem in einem kräftigen Gelbton gehaltenen, im Jahre 1636 errichteten Fort Amsterdam, das ebenfalls Teil des Weltkulturerbes ist, der Sitz der Landesregierung. Schräg gegenüber verläuft die markante Königin-Emma-Brücke. Die 167 Meter lange Fußgänger-Brücke auf Pontons, die den Beinamen „Swinging Old Lady“ trägt, verbindet die Altstadt mit dem nicht minder attraktiven Stadtviertel Otrobanda. Im Schnitt bis zu 30 Mal am Tag dreht sich das Wahrzeichen zur Seite, um Schiffe passieren zu lassen.

„So schön es hier auch ist, will ich nicht verschweigen, das hier von Willemstad aus im 17. Jahrhundert der größte Sklavenhandel in der Karibik betrieben wurde“, verhehlt Stanley eines der dunkelsten Kapitel der Inselhistorie nicht. Gleichzeitig verweist er darauf, dass im nahegelegenen Kura Hulanda Museum das traurige Schicksal des Menschenhandels auf Curaçao anschaulich aufgearbeitet wird.

Kunstinstallation mit überdimensionierten Möbeln unter einer Brück in Otrobanda

Weiter geht es mit dem Tuk-Tuk am Sint Annabaai entlang zum Waaigat, einer innerstädtischen Bucht, an der sich der Floating Market, der „Plasma Bieu“, befindet. Vor allem Händler aus dem knapp 65 Kilometer entfernten Venezuela kommen mit ihren Booten hierher, um am Straßenrand Obst und Gemüse sowie fangfrischen Fisch feilzubieten. Angrenzend befindet sich mit Pietermaai das pulsierende Ausgehviertel von Willemstad mit einer Vielzahl von Restaurants, Cafés und hippen Kneipen.

Die Königin-Wilhelmina-Brücke führt hinüber nach Scharloo, dem lange jüdisch geprägten Stadtteil mit zahlreichen Prachtvillen, aber auch vielen leerstehenden Anwesen, die darauf warten, renoviert zu werden. Eine Tatsache, die sich vor allem junge Streetart-Künstler zu eigen machen, indem sie die runtergekommenen Fassaden mit überdimensionalen Wanderbilder, Murals, verschönern. Gesteigert wird das Ganze noch in Otrobanda, wo die Häuserfassaden reihenweise zu grandios gestalteten Leinwänden für die Kunstschaffenden avancieren und den ebenfalls zum Weltkulturerbe gehörenden Stadtteil zu einem Gesamtkunstwerk erheben.

Wandbild in Scharloo

„Jedes Jahr kommen eine Vielzahl von beeindruckenden Murals im Rahmen des Kaya-Kaya-Festival hinzu“, schwärmt Niederländer Stanley, der seit dem Jahre 2019 auf Curaçao lebt, von der pulsierenden Kunstszene. Längst kennt er seine Wahlheimat wie aus der Westentasche. Mit dem Tuk-Tuk brettert er durch die Straßen, rollt durch enge Gassen, in denen das Knattern des Motors laut widerhallt, und in versteckte Hinterhöfe, wohl wissend, wo sich überall Kunstwerke verstecken. Und dies herrlich unaufgeregt und mit einer Eselsgeduld. Mit stoischer Gelassenheit erträgt er die vielen, vielen Fotostopps.

„Ich selber kann mich daran ebenfalls nicht satt sehen“, zeigt Stanley großes Verständnis für die magnetische Anziehungskraft, die von den teils politischen, teils amüsanten Kunstwerken als Fotoobjekte auf die „Generation Insta“ ausgeübt wird. Die nahezu überall blühende Bogaville sorgt für zusätzliche Farbtupfer. Einige Wandbilder thematisieren die Geschichte und Kultur der Insel, erzählen von Sklavenhandel, erbittertem Widerstand und Emanzipation, andere fungieren schlicht als Gute-Laune-Blickfänge.

Häuserzeile in Willemstad

Ein Farbenrausch, der natürlich nicht ohne den Genuss des Insel-Kultdrinks, des Blue Curaçaos, perfekt wäre. Obwohl Stanley, der seit dem Jahre 2019 selbst keinen Alkohol mehr trinkt, ein wenig den Zauber nimmt: „Eigentlich ist der Likör gar nicht blau, sondern klar“, weiß der langjährige Suchtberater, dass aus Marketingründen hier Lebensmittelfarbe zum Einsatz kommt. Der Likör selbst wird aus getrockneten Schalen der Laraha-Frucht, einer bitteren Orangensorte, hergestellt, die auf Curaçao wächst. Und doch können die chemischen Zusätze irgendwie den Genuss zum Abschluss der famosen Tuk-Tuk-Tour nicht schmälern. Zumal das Getränk farblich perfekt zum Himmel und zum Karibischen Meer passt. „Dushi!“

Informationen: www.curacao.com/de

Alle Bilder: Copyright-Karsten-Thilo-Raab

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Karsten-Thilo Raab ist freier Reise-Journalist, Autor und Fotograf für eine Vielzahl von Zeitungen, Magazinen und ist immer wieder auch für uns tätig. Zudem hat er als Autor bislang mehr als 120 Bücher verfasst bzw. an diesen mitgewirkt.