Majestätisch und geheimnisvoll erheben sich die norwegischen Fjorde aus dem tiefblauen Wasser, während das Kreuzfahrtschiff sanft durch die stille, dramatische Landschaft gleitet. Zwischen steilen Felswänden, tosenden Wasserfällen und malerischen Dörfern beginnt eine Reise, die Natur und Seele gleichermaßen berührt.

Kaum hat man das Deck betreten, weht einem eine salzige Brise um die Nase, und irgendwo zwischen Elbphilharmonie und Containerhafen beginnt das große Abenteuer an Bord des stolzen Kreuzfahrtschiffes mit dem markant roten Kussmund am Bug. Hamburg mit seiner langen Handelsgeschichte schaut neugierig gen Norden, wo Norwegen mit seinen Holzkirchen, Elchen, Fjorden, Wasserfällen und einem ausgelebten Hang zur Naturverbundenheit wartet. Und während die AIDAprima sich langsam die Elbe hinab Richtung Nordsee schiebt, beginnt eine stille Annäherung an eine Kultur, die das einfache Leben feiert, die Stille als Luxus begreift und deren größte Dramatik sich in der famosen Landschaft zeigt.
Zwischen Deckchair, Strandkorb und Dinner, zwischen Troll-Geschichten und echten Naturwundern, wird klar, das Wetter in dem nordischen Königreich passiert einfach – ebenso in Hamburg, wo der Himmel zum Abschied weint und die Elbphilharmonie sowie den Michel in dunkle Wolken hüllt. Vielleicht ist das der Grund, warum Windjacken an Bord und in Skandinavien zur zweiten Haut avancieren.
Bilderbuchkulissen in Flåm

Von Hamburg aus sind es exakt 627 Seemeilen oder 1.161 Kilometer bis zum ersten Landgang in Flåm. Nicht gerade ein Katzensprung. Entsprechend beginnt die Norwegen-Reise mit einem kompletten Seetag. Perfekt, um runter zu kommen, perfekt, um das Schiff und sein Angebot genauestens unter die Lupe zu nehmen.
Gerade einmal 450 Einwohnern zählt Flåm, dessen Name etwa so viel wie „kleine Ebene zwischen hohen Bergen“ bedeutet. Und der Name ist Programm. Denn der Ort tiefblauen Aurlandsfjord mit seinen vorwiegend gelben und roten Holzhäusern am ist auf drei Seiten von steilen Felswänden umschlossen.
Eisbahnnostalgie mit starker Neigung
Der fast schon obligatorische Marsch zum Wasserfall Brekkefossen kommt einer Völkerwanderung gleich. Dabei sagt der Norweger, eine Wanderung war gut, wenn man keinen Menschen getroffen hat. So gesehen ist dieser Wanderung ein Reinfall. Doch tatsächlich lohnt sich der Weg zum Brekkefossen vorbei an einer Herde (schottischer) Hochlandrinder.

Die historische Flåmbahn, eine der steilsten Eisenbahnstrecken der Welt, windet sich von Flåm aus über 20 Kilometer durch exakt 20 Tunnel bis nach Myrdal und bewältigt dabei 866 Höhenmeter, vorbei an tosenden Wasserfällen wie dem Kjosfossen und grünen Tälern, als hätte sie sich vorgenommen, jeden Fahrgast in einen Naturromantiker zu verwandeln.
Steuerkunst im Felsenmeer
Und dann wäre da noch die Ægir-Brauerei, wo Wikinger-Ästhetik auf Craft-Bier trifft. In einem Gebäude, das aussieht wie ein nordischer Tempel, werden wenige Hundert Meter Luftlinie entfernt gebraute Biere ausgeschenkt, die selbst Odin ein anerkennendes Nicken entlockt hätten. Dazu gibt’s deftige Küche mit lokalem Touch – Rentierburger inklusive.
Ein Schauspiel für sich ist, wie Kapitän Felix Rothe das riesige Schiff bei der Abfahrt im kleinen Hafen von Flåm fast auf der Stelle um 180 Grad dreht. Modernster Steuertechnik sei Dank. Dabei sind Augenmaß und Millimeterarbeit notwendig, um die schroffen Felsenwände an den Seiten des engen Fjords nicht zu streifen.
Wikingerblut und schöne Haare

Nächster Halt: Haugesund! Hier begann einst die Geschichte Norwegens: Harald Schönhaar ließ sich in Avaldsnes, gleich um die Ecke, zum ersten König des Landes krönen. Heute kann man dort durch das historische Zentrum spazieren, stilecht mit Langhaus und Runensteinen, und sich fragen, ob man nicht doch ein bisschen Wikingerblut in sich trägt?
Am Rande der mit Holzhäusern gespickten Innenstadt von Haugesund erhebt sich das Nationaldenkmal Haraldshaugen. Der 17 Meter hohe Obelisk, der Harald Schönhaar gewidmet ist, thront auf einem Hügel, der von 29 riesigen Steinen umgeben ist. Jeder dieser markanten Stelen symbolisiert einen der früheren norwegischen Bezirke. Derweil steht der König wahrhaft in der Haraldsgata auf einem Felssockel mit wehendem Haar sowie Schild und Schwert aus Bronze in der Hand. Mit Blick aufs Meer kämpft die königliche Legende heute hier allenfalls mit den Winden.
Geheimtipp ohne Fjord-Klischees
Die Promenade von Haugesund, das sich rühmt über eine der längsten Fußgängerzonen Norwegens zu verfügen, ist ein Ort zum Flanieren, Staunen und Fischbrötchen essen. Hier schaukeln Boote im Hafen, Möwen führen scheinbar lautstarke Debatten über die vermeintlich besten Krabbenplätze.

Letzteres gilt auch für ihre Artgenossen in Måløy. Dieses Fleckchen Erde ist wie dieser schrullige Onkel auf Familienfesten: ein bisschen rau, dann doch überraschend charmant. Eingeklemmt zwischen dramatischer Küste und dem offenen Atlantik, ist dieses Städtchen an Norwegens Westküste ein echter Geheimtipp – und das ganz ohne Fjord-Klischees.
Norwegische Kinder 4.0
Allein die Måløybrua ist ein Erlebnis: Die Brücke schwingt sich über das Meer wie ein nordischer Drachenrücken, und wer bei Sturm mit dem Rad drüberfährt, bekommt gratis einen Windfrisur und einen Adrenalinkick.
Steil geht es hinauf zum Aussichtspunkt am Gottersberghammaren. Geschäftstüchtige Kinder wollen offenbar auch etwas vom Kreuzfahrtkuchen abhaben und bieten an improvisierten Ständen gekühlte Erfrischungsgetränke an – sogar Kartenzahlung ist möglich. Norwegische Kinder 4.0. Noch länger und steiler ist der Aufstieg zum Ellingskarshornet. Hier liegt einem die Brücke komplett zu Füßen.
Elvis-Fieber am Fjord-Ufer

In Måløy erzählen Hauswände mehr als der örtliche Klatsch und Tratsch. Hier wird nicht einfach gemalt – hier wird kunstvoll gestaltet mit Farbe, Pinsel und nordischer Kühnheit. Kaum biegt man um die Ecke, grinst einem ein überdimensionaler Fisch in einer Hand entgegen, der so detailverliebt ist, dass man ihn fast selber umarmen möchte.
Dann grüßt eine Elvis-Figur die jubelnde Menge als Anspielung auf das größte Elvis-Festival Norwegens, das jährlich in Måløy steigt. Drei Tage lang regiert dann die Musik des King of Rock’n Roll in dem sonst ruhigen Häfenstädtchen. Sogar ein Elvis-Imitator verabschiedet traditionell die Kreuzfahrtschiffe mit Songs von Presley, während wenige Hundert Meter entfernt das Wandbild eines bärtigen Fischers in Ölzeug und mit Pfeife im Mund auf den trüben Himmel und die Möwen blickt.
Weiter die Straße hinunter? Ein Mann der gegen Wind und Regen ankämpfen. Dann wiederum fällt ein Kontrabass mit Krabbenscheren in den Blick. Fakt ist: Die Murals hier sind nicht nur Kunst – sie sind die visuelle Rebellion gegen grauen Himmel und Dauerregen.
Eine Rose ist eine Rose, ist eine Rose …
Spektakulär ist die Weiterfahrt von Måløy aus durch den Ulvesund. Die Felsformationen zu beiden Seiten wirken im Spiel von Sonne und Wolken noch dramatischer und mystischer und könnten problemlos als Kulisse für einen Urzeitfilm herhalten.

Weiter geht es zum nächsten Hafen: Molde nennt sich stolz „Stadt der Rosen“ – und das nicht nur, weil hier tatsächlich überall Rosen blühen, sondern weil selbst die Luft ein bisschen nach Sommerduft riecht. Schließlich gedeihen hier dank des warmen Golfstroms Pflanzen, die eigentlich in diesem Breitengraden nicht zu finden sind. Dazu gehören Ahorn, Linden und Kastanien.
Auf dem Rathausplatz steht ein Springbrunnen mit der Skulptur der „Rosepiken“, dem Rosenmädchen von Künstlerin Ranghild Butenschøn. Selbst auf dem Rathausdach gibt es einen Rosengarten, der frei zugänglich ist.
Das Norwegen von gestern
Das Romsdalsmuseum zeigt, wie Norwegen früher lebte – mit historischen Häusern, Trachten und Geschichten, die man am liebsten mit einem Zimtschnecken-Aroma im Hintergrund hört. Kulturelle Drehscheibe ist das Bjornsonhuset, benannt nach Nobelpreisträger Bjørnstjerne Bjørson, dem Verfasser der norwegischen Nationalhymne, der in Molde die Schulbank drückte.
Aus- und ansichtsreicher Jugendstilcharme

Ein ganz anderes, fast schon großstädtisches Flair verbreitet die nächste Station dieser beeindruckenden Kreuzfahrt: Nach einem verheerenden Brand im Jahre 1904 wurde Ålesund, das bis dahin weitgehend aus Holzhäusern bestand, komplett neu aufgebaut – und zwar im Jugendstil. Heute flaniert man durch Straßen, die aussehen wie aus einem Märchenbuch: Türmchen, Ornamente, verspielte Fassaden. Wer mehr wissen will, besucht das Jugendstilsenteret – ein Museum, das Architekturgeschichte mit Augenzwinkern erzählt.
Wer bereit ist, 418 Treppenstufen zu erklimmen, wird mit einem phantastischen Blick auf die Inselwelt von Ålesund belohnt. Vom Berg Aksla aus sieht man die Stadt, das Meer und die Berge.
Magisches Weltnaturerbe

Das Ganze wird noch von einem der wohl spektakulärsten Orte in Norwegen getoppt; Geiranger ist ein Spektakel, ein Naturdrama in drei Akten: steile Berghänge, ein tief eingeschnittener Fjord und Wasserfälle, die sich dramatisch in die Tiefe stürzen. Stars des Ortes sind „Die Sieben Schwestern“, „Der Freier“ und „Der Brautschleier“ – drei Wasserfälle, die nicht nur Namen, sondern auch Charakter haben. Sie stürzen in den Weltererbe-Fjord wie dramatische Opernsängerinnen, und wer genau hinhört, meint fast, sie erzählen Geschichten. Spoiler: Der Freier bekommt die Schwestern nie. Tragisch, aber schön.
Getrübt wird die Idylle durch den Wohnmobilstellplatz direkt am Ende des Fjords. Eine Bausünde ist auch das angrenzende Havila Hotel, das sich wie ein großer, hässlicher, grau-weißer Betonklotz in das heimelige, grüne Tal mit dem türkisblauen Wasser quetscht, in dem ansonsten schnuckelige Holzhäuser zu finden sind.
Im Visier der Trolle
Direkt oberhalb des kleinen Örtchens stürzt sich mit dem Storfossen ein mächtiger Wasserfall laut rauschend gen Tal und Fjord. Obligatorisch ist die Wanderung oder (Bus-) Fahrt hinauf – hinter der nicht enden wollenden Reisebus- und Wohnmobil-Karawane her – zum Flydalsjuvet, einem Aussichtspunkt auf 324 Metern über dem Fjord.

Zum Abschied ist der Geirangerfjord zu Tränen gerührt. Petrus hat die Himmelsschleusen weit geöffnet. Die Regengüsse verleihen zusammen mit den Nebelschwaden an den Berghängen dem Ganzen etwas sehr Mystisches. Fast so, als würden die Trolle einen heimlich aus den grauweißen Wänden hinaus beobachten. Tatsächlich sollen die Trolle gemäß norwegischer Legende nachts in den Berghängen ihr Unwesen treiben und mit Anbruch des Tageslichts temporär bis zum Anbruch der Nacht versteinern. Manch einer schwört, in den steilen Hängen wirklich beachtlich große Troll-Gesichter erspäht zu haben.
Ex-Kapitale mit Holzhauszauber

Der letzte Landgang in dem nordischen Königreich führt einmal mehr zu Postkartenidyllen; Bryggen ist mit seinen jahrhundertealten Hansehäusern das Vorzeigeviertel von Bergen. Die Holzbauten sind direkt an das Hafenbecken gebaut und bilden so eine Art Kai.
Aus Bergens Zeit als Norwegens Hauptstadt stammt der ursprünglich aus Holz gebaute Königshof Bergenhus. Im 13 Jahrhundert wurde dieser unter König Håkon Håkonsson zu einer steinernen Festung ausgebaut und mit einer Ringmauer umgeben. Der Rosenkranz-Turm, erbaut 1562, diente lange als Wohnsitz des Statthalters von Bergen.
Kaschmir-Ziegen mit Eselsgeduld
Heute wird Bergen der zweifelhafte Ruhm zu Teil, mit bis zu 240 Tagen Niederschlag im Jahr Norwegens Regen-Hauptstadt sein. Statistisch gesehen, sind die Monate September und November dabei die schlimmsten. Immerhin bleiben noch 125 andere Tage im Jahr.
Am Kopf des Vågen, der Hafenbucht, wird morgens der Fischmarkt abgehalten. Oben auf dem 320 Meter hohen Fløyen warten nicht nur großartige Blicke auf Bergen, sondern auch tierische Begegnungen mit frei umherlaufenden Kaschmir-Ziegen. Beim Anblick der ultra-gechillten Tiere kommt einem fast der Gedanke, diese hätten irgendwas geraucht oder ein Mittel bekommen, um so ruhig zu sein und die ganzen Kameras, die ihn aus zwei Zentimetern Entfernung unter die Nase gehalten werden, entspannt zu ignorieren.
Ein langes Farewell mit Seeblick
Von Bergen startet die lange Rückreise in die Hansestadt Hamburg. Der dafür benötigte Seetag ermöglicht noch einmal die vielen Eindrücke und Highlights Revue passieren zu lassen und dabei das breitgefächerte kulinarische Angebot so wie das Unterhaltungsprogramm an Bord zu genießen.
Beim unvermeidbaren Check-out in Hamburg, das zur Begrüßung Tränen in Form des berühmtberüchtigten, norddeutschen „Schietwetters“ vergießt, erklingt die in elf Tagen liebgewonnene Auslaufmelodie „Sail away“ leider nicht. Dafür schwingt eine gehörige Portion Wehmut mit. Trost ist der Gedanke, dass nach der Kreuzfahrt vor der Kreuzfahrt ist.
Alle Bilder: (c) Karsten-Thilo Raab