Ehrlich gesagt hatte ich ja mit einer matschigen Angelegenheit gerechnet, als wir am Morgen zu den Big Muddy Badlands im äußersten Südosten Saskatchewans aufgebrochen sind. Matschig und vielleicht auch ein bisschen öde. Aber wie heißt es so schön? Saskatchewan ist immer wieder für eine Überraschung gut – wie wahr! „Muddy“ ist hier rein gar nichts – wie auch, bei schönstem Prärie-Sonnenschein?!? Und öde schon gleich dreimal nicht…
Unser Ziel heißt Coronach. In der gemütlichen Kleinstadt rund 2 Autostunden südlich von Regina starten die geführten Touren durch die Big Muddy Badlands. Bereits im Vorfeld hatten wir uns für eine Ganztagestour entschieden und entsprechend vorreserviert. Voller gespannter Vorfreude besteigen wir jetzt den kleinen Bus und werden von der netten Reiseleiterin Cindy begrüßt. Vor uns liegt eine 180 km lange Tour, bei der wir 9 verschiedene Stationen besuchen werden. Die faszinierende Landschaft der Badlands hatten wir schon bei der Anreise bewundert. Mein Blick klebt am Fenster und ich sehe, wie verwitterte Spitzkuppen, kegelförmige Hügel, steile Klippen und Formationen aus erodierten Ton- und Sandsteinablagerungen an mir vorbei ziehen. Manche sehen wie versteinerte Baumstämme aus. Cindy erklärt uns, dass die hügelige Szenerie des Big Muddy Valley am Ende der letzten Eiszeit durch riesige Mengen an Schmelzwasser entstanden ist. Die Erosionsrinne aus Sandstein führt von Willow Bunch in Saskatchewan bis nach Plentywood in Montana. Ganze 55 km ist das Tal lang, 3,2 km breit und bis zu 160 m tief. Über die Jahrhunderte hinweg haben weitere Erosionen die Hügel abgerundet sowie Gänge und Höhlen gebildet, die die Region so interessant machen. Wir lernen, dass die Big Muddy Badlands ihrem Namen alle Ehre machen – wenn es regnet. Der Boden der Region ist sehr locker und enthält jede Menge schluffigen Lehm, der bei Nässe extrem matschig und rutschig wird. Ich lag also doch gar nicht so schlecht mit meiner ersten Vermutung… Wie schön, dass heute die Sonne scheint – wie eigentlich fast immer im Sommer in Saskatchewan!
Nicht zu übersehen türmt sich in der Ferne nun der Castle Butte auf. Der 70 m hohe Felsen aus Sandstein und gepresstem Ton hebt sich mächtig aus der flachen Prärielandschaft empor und erinnert mich irgendwie an den Ayers Rock in Australien. Phänomenal! Castle Butte diente schon seit jeher als Orientierungspunkt – den Gesetzeshütern der Royal North West Mounted Police, den frühen Siedlern und auch bereits den First Nations.
Überreste der Ureinwohner sind überall in der Region zu finden: zeremonielle Kreise, historische Buffalo Jumps, die zur Bisonjagd genutzt wurden, und nicht zuletzt außergewöhnliche Steinbilder, die Namen wie Minton Turtle oder Big Beaver Buffalo tragen und zur Mystik und Magie der Landschaft beitragen.
Wir fahren weiter und es dauert nicht lange, bis wir auf die Spuren eines wilden Haufens Gesetzloser stoßen, die die Region Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Angst und Schrecken versetzten. Als im Gebiet hinter der nur 20 km (oder einen Hügel weit) entfernten Grenze zum heutigen U.S. Bundesstaat Montana strengere Gesetze zur Verbrechensbekämpfung eingeführt wurden, nahmen die Gangster Kurs auf Kanada, um mal eben in den vielen Höhlen und Gängen der Big Muddy Badlands zu „verschwinden“ und sich vor Ordnungshütern und Verfolgern zu verstecken. Kaum jemand lebte zu dieser Zeit in der Region und der nächste größere Posten der Royal North West Mounted Police lag ca. 150 km westlich in Wood Mountain – mit dem Pferd ein 2-3-tägiger Ritt. In Big Muddy selbst gab es lediglich eine kleine und dünn besetzte Polizeistation. Patrouillen waren spärlich und unregelmäßig – ideale Bedingungen für die Gesetzlosen. Gewaltandrohungen und Einschüchterungen stellten sicher, dass die wenigen Bewohner der Region die Aktivitäten der Gangster tolerierten oder sogar mit helfender Hand zur Seite standen.
Schurken wie Dutch Henry oder Butch Cassidy tauchten regelmäßig in Big Muddy auf. Letzterer war zunächst ein braver Viehzüchter, bevor er zum Bank- und Eisenbahnräuber avancierte, Chef der Bande „The Wild Bunch“ („Der wilde Haufen“) wurde und gemeinsam mit „Sundance Kid“ Ende der 1890er Jahre sein Unwesen trieb. Butch Cassidy war es auch, der zu dieser Zeit den sogenannten „Outlaw Trail“ organisierte – den Treck der Gesetzlosen, welcher sich von Saskatchewan über Montana, Colorado und Arizona bis nach Mexiko schlängelte. Die Big Muddy Badlands formten dabei das nördliche Ende des Trails. Der gewiefte Verbrecher sorgte dafür, dass den Flüchtigen entlang des Trails alle 15 – 20 km von einem freundlichen (oder verängstigten?!?) Farmer ein frisches Pferd zur Verfügung gestellt wurde. Eine Ranch außerhalb von Big Beaver war dabei die erste Station. Verfolger und Gesetzeshüter sahen die Verbrecher fast immer nur von hinten und wurden frustriert in einer Staubwolke zurückgelassen.
Einen Hauch der altmodischen Gangster-Romantik kann ich am eigenen Leib spüren, als uns Cindy in die Outlaw Cave von Sam Kelly führt. Der gefährlichste aller Schurken konnte angeblich einer Kuh aus 100 Yards Entfernung ein Horn wegschießen. Brutale Bank- und Zugüberfälle sowie Viehdiebstahl standen bei ihm auf der Tagesordnung. Mehrere Jahre lebte der Gesetzlose in seiner Höhle in Big Muddy, bevor er sich entschloss, auf den rechten Pfad zurück zu kehren und sein Leben als braver Farmer in Saskatchewan zu beschließen. Er starb mit fast 80 Jahren eines natürlichen Todes.
Als unsere Big Muddy-Tour am Abend in Coronach zu Ende geht, liegt ein spannender und faszinierender Tag hinter uns. Wie ich schon sagte: Saskatchewan ist immer wieder für eine Überraschung gut!
Informationen über die Touren in den Big Muddy Badlands gibt es unter www.townofcoronach.ca – unbedingt vorreservieren!
Titelbild: Castle Butte, Big Muddy Badlands – Credit: Tourism Saskatchewan / Paul Austring