Estland – eine Sommerliebe

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Auf dem blank gescheuerten Holztisch steht ein Krug mit einem bunten Strauß frischer Feldblumen. Zur Erfrischung bekommen die Gäste ein Glas selbst gemachter Limonade mit dem Geschmack von Holunderblüten – erfrischend und köstlich zugleich. Auch was zum Essen auf den Tisch kommt, lässt manchen an Zeiten denken, als man bei der Großmutter auf dem Land einen Teil meiner Sommerferien verbrachte.

Autor und Bilder: Detlef Berg

Mulgikapsas heißt hier eines dieser typischen Gerichte: Schweinefleisch mit Sauerkraut und jeder Menge Kümmel, dazu natürlich Kartoffeln, eine der beliebtesten Beilagen der estnischen Küche. Zum Nachtisch schließlich wird ein frisch gebackener Streuselkuchen mit Waldbeeren serviert. Zu genießen ist das auf der Terrasse des Gutshofes Vihula Manor Country Club, einem Ensemble von zwei Dutzend Gebäuden mit einer 800jährigen, wechselvollen Geschichte. Das Anwesen liegt nur eine Autostunde östlich von der Hauptstadt Tallinn entfernt und mitten im Lahemaa-Nationalpark, der mit seinen von Elchen, Bibern und Bären bewohnten Kiefernwäldern, verträumten Buchten und azurblau leuchtenden Seen heute ein beliebtes Feriendomizil ist.

Vihula ist nur einer von rund 2 000 Gutshöfen, die vor dem Ersten Weltkrieg deutsch-baltischen Familien gehörten. Viele dieser Höfe wurden während der Russischen Revolution niedergebrannt, ihre adligen Besitzer umgebracht. Die verbliebenen Deutsch-Balten wurden 1939 zwangsumgesiedelt, so auch die Familie von Schubert vom Gut Vihula. Danach war das Anwesen wie die meisten Güter im Baltikum dem Verfall preisgegeben. Erst nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Estlands 1991 wurden einige Gutshöfe aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst und bieten verwöhnten Reisenden eine ebenso exklusive wie abgeschiedene Bleibe auf Zeit.

Vihula präsentiert sich heute als schmuckes Feriendorf in einer 50 Hektar großen Parklandschaft. Die Gästezimmer – in einer gelungenen Mischung aus historischem Ambiente und zeitgemäßem Komfort – befinden sich im herrschaftlichen Haupthaus, im ehemaligen Waschhaus am Mühlenteich und im einstigen Kutscherhaus. Am Abend genießt man moderne estnische Küche im stilvoll hergerichteten Restaurant im Herrschaftshaus, und auch Vegetarier kommen auf ihre Kosten. Den nächsten Tag verbringen die Kinder von Urlaubspaaren auf der Öko-Farm. Sie sind begeistert, den Tieren einmal so nah kommen zu können.

Die Erwachsenen erkunden mit dem Fahrrad die Gegend, radeln bis zum nur vier Kilometer entfernten Ostseestrand. Im Fischerdorf Altja erinnern die alten mit Reet gedeckten Holzhäuschen an die Zeit, als das Überleben der Dorfbewohner vom erfolgreichen Fischfang abhing. Als schönstes Dorf der Region gilt Käsmu. Es liegt auf der kleinsten der vier Halbinseln, die im Nationalpark Lahemaa in die Ostsee hineinragen. Weil in Käsmu früher viele Schiffskapitäne wohnten, wird das Dorf auch als Kapitänsdorf bezeichnet. Ein Schiffsmuseum, eingerichtet in der einstigen Seefahrtsschule, erinnert mit interessanten Exponaten an diese Zeit. Eindrucksvoll ist auch die Küste – sie ist mit riesigen Findlingen übersät. Diese Relikte der Eiszeit liegen nahe beim Dorf und am Meer und sind der Höhepunkt des berühmten Findling-Wanderwegs Käsmu. Ein Panoramaweg folgt der Küste in ganzer Länge. Auf Fahrrädern geht es 14 Kilometer auf einem mit blauen Bändern markierten Weg entlang durch wunderschöne Landschaften.

Nächster Höhepunkt ist der Lehrpfad im Viru-Hochmoor. Ein Holzsteg führt durch eine faszinierende Wald- und Moorlandschaft mit bläulich glänzenden Seen, in denen sich die Wolkenformationen des Himmels beeindruckend spiegeln. Unterwegs informieren Tafeln darüber, dass hier noch bis 1985 Torf abgebaut wurde.

An der alten Poststraße von Tallinn nach St. Petersburg liegt nicht nur Vihula, sondern mit Palmse und Sagadi auch weitere sehenswerte Gutshäuser.

Das Gut Palmse, einst ein Zisterzienderkloster, kam 1677 in den Besitz der deutsch-baltischen Familie von Pahlen. Das gelb leuchtende Barockgebäude liegt in einem englischen Landschaftspark und ist heute ein Museum. Dort erhält der Besucher einen anschaulichen Einblick in das einstige Leben des baltischen Landadels. Auch im acht Kilometer entfernten barocken Gutshof Sagadi informieren Museen über die wechselvolle Geschichte, und im Forstmuseum sehen wir den einzigen Elch auf unserer Reise. Das ausgestopfte Exemplar schaut an der Wand von oben auf uns herab.

Beide Güter bieten auch preiswerte Übernachtungen an, wir aber fahren weiter gen Osten in Richtung Peipussee. Unterwegs lohnt ein Stopp in Kuremäe. Wir besuchen das berühmte russisch-orthodoxe Kloster mit seinen sechs mit Zwiebeltürmen bekrönten Kirchen, in dem heute etwa 150 Nonnen leben. Dieser Besuch ist eine Einstimmung auf das Westufer des Peipussees, an dem eine überwiegend russischstämmige Bevölkerung lebt.

Am mit Schilf bewachsenen Ufer des fünftgrößten Sees in Europa wohnen viele Altgläubige, die sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts als Glaubensflüchtlinge aus Russland angesiedelt haben. Sie betreiben traditionell vor allem Fischfang und bauen Zwiebeln an, und gleich im ersten Straßendorf Varnja sehen wir alte Mütterchen, die vor ihren schmucken, zumeist einstöckigen Holzhäusern sitzen und Zwiebeln zu schönen Zöpfen flechten. Sie leben vor allem vom Verkauf der Zwiebeln, getrockneten Kräutern  und eingelegtem Gemüse. Reich werden kann man damit nicht, und deshalb ziehen viele junge Menschen weg.

Alexej ist geblieben, betreibt mit seiner Frau einen kleinen Imbiss am Straßenrand. Er hat ein paar Stühle und Tische aufgestellt, und alles, was auf den Tisch kommt, stammt aus der Region. Besonders lecker ist gebratener oder geräucherter Fisch, frisch aus dem Peipussee.

Wenige Kilometer vom Westufer des Sees entfernt liegt Alatskivi mit einem der schönsten Schlösser Estlands. Baron Arved Georg von Nolcken ließ es 1880 bis 1885 nach dem Vorbild von Schloss Balmoral in Schottland erbauen. Eine Besichtigung des schneeweißen Schlosses lohnt sich, und im Restaurant bekommt man neben gutem Essen auch gleich Tipps vom Kellner für die Besichtigung von Tartu. Wir erfahren von der glanzvollen Zeit der früheren Hansestadt Tartu. Mehr als ein Fünftel der mit 100 000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Estlands sind Studenten der bereits 1632 gegründeten Universität. Das prägt das Leben der Stadt – die kleinen Cafes, Bars und Restaurants sind gut besucht

Ausgangspunkt und auch Abschluss unserer Rundreise ist Tallinn. Im Oru Hub Hotel, einem designorientiertem Hotel der Handwritten Collection von Accor, treffen wir Eigentümerin Sonia Bernovski. Sie ist etwas enttäuscht, das wir nur kurz Zeit für Tallinn haben. „Ihr müßt einfach wiederkommen“, sagt sie. „Vielleicht mal in der Vorweihnachtszeit. Dann ist die Altstadt festlich geschmückt und auf dem Rathausplatz gibt es einen schönen Weihnachtsmarkt. Versprochen?“. Versprochen – wir kommen!  

www.visitestonia.com

www.vihulamanor.com,

www.oruhotel.ee,

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