Die Insel Borkum ist zu jeder Jahreszeit ein Paradies, dessen größtes Pfund neben dem Weltnaturerbe Wattenmeer fraglos der 26 Kilometer lange Strand ist.
Autor: Karsten-Thilo Raab
Selbst sonst so elegante Damen blicken entspannt auf das, was einmal als Frisur bezeichnet werden konnte. Wohl wissend, dass alle Frauen nach einem kurzen Spaziergang während der bisweilen stürmischen Herbsttage auf der Nordseeinsel Borkum eine ähnlich zersauste Haarpracht aufweisen. Vermutlich ist dies auch der Grund, warum das 36 Quadratkilometer große Nordseeheilbad die gefühlt größte Friseurdichte Deutschlands aufzuweisen hat. Motto: Gerade im Herbst gibt es immer etwas zu tun.
Dabei haben die jahreszeitlich bedingten Winde keinesfalls nur Auswirkungen auf das Aussehen und den Sitz des Haupthaares. Der nahe Golfstrom bewirkt ein mit Jod angereichertes mildes und zugleich pollenarmes Hochseeklima, in dem sich besonders Allergiker wohl fühlen. Und an trockenen Tagen sorgen die Böen für ein feines Sand-Peeling und dafür, dass sich die Sandkörner in alle Körperritzen verteilen.
Wetterbedingtes Wechselspiel
Mit dem Wind wechseln auch ständig die Temperaturen, so dass neben dem Wandern, Radfahren und Drachen steigen lassen das An- und Ablegen von Bekleidungsschichten zu den häufigsten Aktivitäten der Inselbesucher gehören. Denn Borkum im Herbst bedeutet ein ständiges Wechselspiel zwischen Frostbeulen und Sonnenbrand, zwischen Stirnband und Oben-ohne, zwischen T-Shirt und Friesennerz, zwischen kühlem Pils und steifem Grog.
Die Bretterbuden am Nordstrand erweisen sich gerade bei stürmischer See und aufpeitschenden Herbstwinden als Hort der Gemütlichkeit. Mit ihrer einfachen Bestuhlung und den Plexiglasscheiben trotzen sie in der warmen Herbstsonne den Böen, während schwarzer Friesentee mit Kluntjes und der obligatorische Milchreis mit Zimt und Zucker oder die beliebte Dicke Milch mit Schwarzbrot, Zimt und Zucker die Lebensgeister nach einem hier und da fröstelnden Strandspaziergang zurückbringen. Da stört es wenig, dass Tische und Stühle mit einer feinen Panade aus Sand überzogen sind.
Der Unterschied zur Robbe
In der Tat sind manche Touristen auf der westlichsten und zugleich größten der sieben Ostfriesischen Inseln dieser Tage nur schwer von den Robben und Seehunden zu unterscheiden, die sich faul auf jenen Sandbänken rekeln, die bei Ebbe bequem zu Fuß zu erreichen sind. Daher ein kleiner Tipp: Robben tragen grundsätzlich keine Brillen und in der Regel auch keine roten Allwetterjacken.
„Mit seinen 20 Kilometern Sandstrand ist Borkum ein echter Traum – schöner als jede Karibikinsel“, schwärmt daher auch so mancher Insulaner voller Begeisterung. „Gerade die endlosen Weiten zwischen dem Nordstrand und Seeblick sind grandios. Nur Palmen fehlen hier zum perfekten Inselglück“, lautet nicht von ungefähr das Credo vieler Inselbewohner mit Blick auf ihre geliebte Heimat, die bis zum Einsetzen der Herbststürme Anfang November besonders für Naturliebhaber sehr viel zu bieten hat.
Faszination Wattenmeer
Mit dem Wechselspiel von Ebbe und Flut wird das Wasser der Nordsee rund um Borkum zeitweise zum Land. Das Wattenmeer entpuppt sich dann als Tischleindeckdich für ganze Heerscharen von Vögeln, die hier im wahrsten Sinne des Wortes ein gefundenes Fressen finden. Derweil entdecken Radfahrer bei den Touren durch die Landschaftsschutzgebiete des Ostlands schnell, dass dieser Teil Ostfrieslands gar nicht flach wie eine Flunder ist, sondern dass es parallel zu den Dünen immer wieder kleinere und größere Hügel hoch und runter geht, auch wenn große Steigungen schlicht nicht existent sind.
Doch auch sonst hat die 5.800-Seelen-Insel inmitten der Nordsee einiges zu bieten. Um sich einen ersten Überblick über Borkum zu verschaffen, lohnt der Aufstieg auf den markanten Neuen Leuchtturm. Dieser ist nicht nur für die Seefahrer ein wichtiger Orientierungspunkt, sondern mit seinen gut 60 Metern Höhe das weithin sichtbare Wahrzeichen und höchste Gebäude der Insel.
Ostfriesisch für Anfänger
Der Gang durch das ehemalige Fischerdorf mit seinen verwinkelten Gassen und verschachtelten Häuserzeilen wird unweigerlich zu einem kleinen Ostfriesisch-Kurs für Anfänger. Überall und zu jeder Tageszeit erklingt ein freundliches „Moin“ als Gruß.
Und schnell weiß ein jeder, dass hier das stille Örtchen „Hüsche“ genannt wird und es separate Bereiche für „Froulü“ und „Mannlü“ gibt, um dem Ruf der Natur zu folgen.
Zu Füßen des Alten Leuchtturms aus dem Jahre 1576 erinnern ein paar uralte, verwitterte Gräber mit eingravierten Totenköpfen an längst vergangene Zeiten, als die Insulaner noch vornehmlich vom Walfang lebten. Derweil arbeitet das nahe gelegene Heimatmuseum die 300 Jahre alte maritime Geschichte Borkums im Rahmen seiner Dauerausstellung anschaulich auf. Besonderer Blickfang ist hier das 15 Meter lange Skelett eines Pottwales, das plakativ unter die Decke gehangen wurde.
Borkum im Herbst genießen
Auch ein Walknochenzaun zwischen dem pittoresken Rathaus und dem Alten Leuchtturm erinnert an die Zeiten, als die Insulaner noch im Polarmeer auf Jagd nach den riesigen Meeressäugern gingen. Und während sich in der Kulturinsel regelmäßig der Vorhang für Theater, Kabarett und Musical hebt, wartet der FKK-Strand der Insel nicht nur mit Freikörperkultur auf. Denn hier befindet sich auch Deutschlands einzige Strandsauna. Und wo ließe es sich nach einem stürmischen Herbsttag besser entspannen, als in einer Sauna mit Meeresblick?
Informationen: www.borkum.de
Alle Fotos: Karsten-Thilo Raab