Bergen, Norwegens Regenhauptstadt zeigt sich am liebsten in Grau. Und doch entfaltet sich zwischen bunten Holzhäusern, Fjorden und Ziegen mit Aussicht eine Stadt, die einem mit jedem Tropfen mehr ans Herz wächst.

Wer Bergen als Ziel hat, sollte zwei Dinge immer griffbereit haben: eine Kamera und eine Regenjacke – und zwar in genau dieser Reihenfolge. Denn während die norwegische Hafenstadt mit ihren bunten Holzhäusern und den majestätischen Fjorden vor der Haustür das Herz jedes Reisenden im Sturm erobert, ist es oft eben auch der Sturm selbst, der einen begrüßt. Denn der einstigen Kapitale des nordischen Königreichs kommt die zweifelhafte Ehre zu teil, sich mit bis zu 240 Tagen Niederschlag pro Jahr als Norwegens Regen-Hauptstadt bezeichnen zu dürfen. Statistisch gesehen, sind die Monate September und November dabei die schlimmsten. Aber immerhin bleiben noch 125 andere Tage im Jahr, an denen zumindest zwischendurch auch mal die Sonne scheint.

Für die übrigen Tage gilt: In Bergen regnet es nicht einfach, hier regnet es mit Stil. Wer sich ungeachtet der meist düsteren Wettervorhersagen darauf einlässt, entdeckt eine Stadt, die selbst unter grauen Wolken in den schillerndsten Farben leuchtet. Zwischen Kopfsteinpflaster und Kunstgalerien, zwischen Seilbahn und Holzhäusern, ist Bergen ein Ort, der beweist: Man muss nicht immer Sonnenschein haben, um strahlende Erinnerungen zu sammeln. Und auch die Einheimischen nehmen die Tatsache, dass lang anhaltender Regen an manchen Tagen lediglich von kurzen Schauern unterbrochen wird, mit Humor. Es gibt sogar ein Sprichwort, das besagt, dass man in Bergen gar nicht nass wird, sondern einfach nur ein bisschen norwegischer.
„Ach, Regen ist wie ein alter Freund – manchmal nervt er, aber er gehört einfach dazu“, konstatiert dann auch die Verkäuferin, die auf dem Fischmarkt am Kopf des Vågen, der Hafenbucht, Salami mit Elch-, Rentier und Walfisch-Geschmack feilbietet, amüsiert.
„Wer bei uns Sonnenschein erwartet, hat entweder einen speziellen Humor oder eine Wetter-App mit Hang zur Fiktion“, lacht ihr Spannmann, während er versucht, einer potenziellen Käuferin aus Asien eine Marmelade mit Moltebeeren schmackhaft zu machen.

So oder so ist der Fischmarkt ein Muss – noch dazu weitgehend trocken, da die Stände über entsprechende Vordächer verfügen. Hier wird gehandelt, gelacht und probiert, was das Meer hergibt. Lachs in allen Varianten, Königskrabben und besagte Rentierwurst. Etwas Wagemutigere testen den berühmten „Lutefisk“, einen in einer Lauge aus Buchen- oder Birkenasche gewässerter Trockenfisch (meist Kabeljau) mit intensivem Geruch und sehr spezieller Geschmacksnote.

Keine Frage des Geschmacks ist der Besuch des UNESCO-geschützte Hanseviertels Bryggen mit seinen jahrhundertealten Holzhäusern. Die schmalen Gassen zwischen den windschiefen Holzbauten sind ein Labyrinth aus Geschichte, Kunsthandwerk und dem leisen Gefühl, dass hier jeder Stein ein Geheimnis kennt. Man streift durch Galerien, entdeckt handgeschnitzte Trolle und fragt sich, ob die Häuser wirklich so schief sind – oder ob der Lutefisk vom Fischmarkt womöglich doch stärker nachwirkt, als gedacht?
Fakt ist, Bryggen wirkt mit seinen bunten Hansehäusern, als hätten die Baumeister hier versehentlich und doch ganz stilvoll einen Farbkasten verschüttet – ein fröhlicher Kontrast zum Grau des Himmel. Und der Beweis dafür, dass Farbe ein wenig gegen jedes Tiefdruckgebiet hilft.

Aus Bergens Zeit als Norwegens Hauptstadt stammt auch der ursprünglich aus Holz gebaute Königshof Bergenhus. Im 13. Jahrhundert wurde dieser unter König Håkon Håkonsson zu einer steinernen Festung ausgebaut und mit einer Ringmauer umgeben. Der älteste Teil der noch heute erhaltenen Anlage ist die Håkonshalle, der größte mittelalterliche Profanbau Norwegens. Der Rosenkranz-Turm, erbaut 1562, diente lange als Wohnsitz des Statthalters von Bergen. Heute kann man von ihm aus die Aussicht auf die Stadt genießen oder im Inneren ein Modell der Festungsanlage Bergenhus bewundern.

Noch aussichtsreicher gibt sich – sofern Petrus mitspielt – der Fløyen, der bequem mit der Fløibanen, einen Standseilbahn, erklommen werden kann. Oben auf dem 320 Meter hohen Berg warten nicht nur großartige Blicke auf Bergen, sondern auch tierische Begegnungen mit frei umherlaufenden Kaschmir-Ziegen. Beim Anblick der ultra-gechillten Tiere kommt einem fast der Gedanke, diese hätten irgendwas geraucht oder ein Mittel bekommen, um so ruhig zu sein und die ganzen Kameras, die ihnen immer wieder aus zwei Zentimetern Entfernung unter die Nase gehalten werden, entspannt zu ignorieren.

Auf Romantiker wartet etwas unterhalb des Fløiresrestauranten ein „kissing point“ mit vorgezeichneten Fußpositionen. Quasi ein Orientierungshilfe für Liebende und diejenigen, die im Alltag die Nähe zum Partner vernachlässigt haben. Ansonsten locken auf dem Fløyen Wanderwege, aber auch Bänke – für alle, die lieber sitzen und staunen.
Wie oft Edvard Grieg (1843-1907) den Fløyen hinauf ist, bleibt im Grau des Regens verschleiert. Bergens musikalischer Superstar liebte die Natur und angeblich auch den Regen, der ihm beim Komponieren half, sich zu konzentrieren. Der Schöpfer der berühmten „Peer-Gynt-Suiten“ erblickte 1843 in Bergen das Licht der Welt. Im Jahre 1885 bezog er das Haus „Troldhaugen“ etwas südlich der Stadt. Heute befindet sich dort das Grieg-Museum mit Konzertsaal.

Noch mehr Kultur gefällig? Das KODE-Museum zeigt Edvard Munchs düstere Werke. Die Ausstellungen sind klug kuratiert, das Gebäude elegant und die Stimmung angenehm melancholisch – perfekt, um sich nach dem dritten Regenschauer ein bisschen niedergeschlagen zu fühlen.
Tröstlich ist daneben der Gedanke, dass es in Bergen quasi für jeden Regenschauer das passende Café gibt. Sobald die ersten Tropfen fallen – also eigentlich immer – strömen Menschen in gemütliche Lokale. Die Fenster beschlagen, die Gespräche sind gedämpft, und draußen spielt der Regen sein unermüdliches Trommelkonzert. In gemütlichen Cafés mit Namen wie „Blåbær“ oder „Det Lille Kaffekompaniet“ wärmt man sich bei Zimtschnecken und dampfendem Kaffee. Die Norweger nennen das „koselig“ – eine Mischung aus Gemütlichkeit, Wärme und dem Gefühl, dass draußen zwar die Welt untergeht, aber drinnen alles gut ist. Wer Glück hat, bekommt sogar ein Handtuch zum Heißgetränk.
Informationen: https://de.visitbergen.com
Fløyenbahn: Die Fahrt auf den Fløyen kostet aktuell hin und zurück für Erwachsene 200 NOK (etwa 16,80 Euro). Informationen unter www.floyen.no.
Bilder Copyright: Karsten Thilo-Raab