Die Belgrad Silos haben sich binnen kürzester Zeit von einer verwaisten Industrieanlage zu einer der angesagtesten Partylocations und Kreativmeilen des Balkans gemausert.
Autor & Bilder: Karsten-Thilo Raab
Ein wenig muten die Sonnenhungrigen an wie die Hühner auf der Stange. Liegestuhl an Liegestuhl sitzen sie in einer langen Reihe direkt an der Kaimauer am Ufer der Donau. Dabei macht es scheinbar den wenigsten etwas aus, dass die Quecksilbersäule längst die 30-Grad-Celsius-Marke deutlich überschritten hat. So gesehen, droht sich das Gros der menschlichen Hühner in der prallen Sonne früher oder später unweigerlich in Brathähnchen zu verwandeln. Auch dies scheint niemanden wirklich zu stören.
Während aus den Boxen lautstark Technomusik erklingt und engagierte DJs eigene Kreationen präsentieren, genießt das überwiegend zwischen 20 und 40 Jahre alte Publikum kühles Bier aus kleinen Flaschen beziehungsweise den einen oder anderen frisch gemixten Cocktail. Bei vielen kreisen wie im Kino Tüten mit Popcorn, wobei die salzige Knabberei gerne noch mit Paprikapulver gewürzt wird. Im Gegensatz zum Filmpalast flimmert hier allerdings nichts über die Leinwand. Lediglich die Fracht- und Passagierschiffe sowie die Heerschar an Freizeitkapitänen sorgen für bewegte Blickfänge im Schatten der ehemaligen Silos am Donau-Ufer in Belgrad.
Was vor gut drei Jahren als ehrgeiziges und vielfach belächeltes Projekt startete, hat sich längst zu einer der angesagtesten Party-Locations in Serbien und auf dem Balkan entwickelt. Die Lage ist perfekt. Am Rande eines ehemaligen Industriegebiets erheben sich im Stadtteil Dorćol die ausgedienten Silos – knapp 20, 25 Gehminuten vom Platz der Republik im Herzen der serbischen Hauptstadt Belgrad entfernt. Und doch sind die Silos soweit außerhalb, dass die lautdröhnenden Technobeats niemanden stören.
Obwohl das Areal auch nicht in der Nähe irgendwelcher Bus- oder Bahnlinien liegt, strömt das partybegeisterte Jungvolk insbesondere an den Wochenenden mit dem Auto, Fahrrad oder zu Fuß hierher. Viele chillen tagsüber mit Blick auf die blaue Donau und die kunstvoll gestalteten Silos. Noch mehr kommen abends hierher, um unter freien Himmel sowie im Inneren der ehemaligen Getreidelager wild und unbeschwert abzutanzen.
Neben den runden Betonriesen zeugt noch einer alter Kran, der dem Zahn der Zeit überlassen wurde, von jenen Tagen, als hier tagtäglich Schiffe mit Getreide beladen wurden. Die eigentlich wenig ansehnlichen Silos selber stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert und erinnern an jene Tage, in denen bei Zweckbauten ausschließlich die Funktionalität und eine möglichst lange Nutzungsdauer im Vordergrund standen.
Während die Außenwand von zwei, der jeweils 28 Meter hohen Silo-Teile zu Kletterwänden umfunktioniert wurden, sind andere aufwendig künstlerisch gestaltet worden. Noch ist gerade einmal ein Viertel des Silos bemalt, doch auch alle anderen sollen mittelfristig mit riesigen Wandbildern versehen werden. Entsprechende Verträge mit Künstlern sind bereits abgeschlossen. Nun mangelt es noch etwas am notwendigen Kleingeld. Schließlich bedarf es nicht nur einer Gage für die Künstler. Farben müssen gekauft und ein hohes Gerüst muss aufgestellt werden. Daher wird noch einige Zeit ins Land gehen, bis alle Rundsilos mit übergroßen Motiven verziert sind. Zwei bis drei können laut Einschätzung von Sagor Mešković, Ana und Boris Ćetković, den drei unermüdlichen Triebfedern hinter der aufwendigen Umgestaltung der Industriebrache, pro Jahr bemalt werden.
Die Silos selber werden in Teilen als Ausstellungsfläche für die Präsentation unterschiedlicher Kunstformen genutzt. Als Zentrum der Kreativität bieten die hoch aufragenden Betonklötze Künstlern verschiedener Stilrichtungen eine Bühne für verschiedenartigste Veranstaltungen. Allein in den zurückliegenden zwölf Monaten stiegen hier mehr als 300 Veranstaltungen unterschiedlicher Ausprägung. Die hohen Räume und die einzigartige Akustik machen die Silos dabei zu einem perfekten Ort für Konzerte, Tanz und Performances und auch für alle, die zu Technobeats die Nacht zum Tag machen wollen. Gleichzeitig unterstreichen die Silos, dass das Gestern und Morgen durchaus sinnvoll miteinander verquickt werden können, um Einzigartiges und Inspirierendes zu schaffen. Die nicht abreißen wollende Zahl der jungen Menschen, die hierher strömen, unterstreichen dies deutlich.
Allgemeine Informationen: Belgrad Fremdenverkehrsamt – www.tob.rs/en
Informationen: Belgrad Silos, Dunavski kej 46, Belgrad 11158, Serbien, www.silosi.rs
Anreise: Air Serbia (www.airserbia.com/de) bietet ab rund 130 Euro von Berlin, Bremen, Düsseldof, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln, Nürnberg, Stuttgart, Salzburg, Wien, Genf und Zürich Direktflüge nach Belgrad an.
Einreise: Für die Einreise nach Serbien genügt ein mindestens noch sechs Monate gültiger Personalausweis.
Währung: Zahlungsmittel ist der serbische Dinar (RSD). Ein Euro entspricht etwa 117 RSD; ein Dinar etwa 0,0085 Euro.