Schleichend kündigt sie sich an: mit Stimmungstiefs, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und manchmal sogar körperlichen Beschwerden. Die Depression zählt in Europa zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Schätzungen zufolge waren hierzulande 2022 rund 9,5 Millionen Menschen betroffen.* Gängiger Ansatz ist neben der Psychotherapie häufig der Einsatz von Psychopharmaka, die die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn beeinflussen. Die ayurvedische Medizin hingegen folgt stets einem ganzheitlichen Heilungs-Prinzip, in dem sie Körper, Geist und Seele als Einheit versteht und diese bei Dysbalancen wieder in Einklang bringt. Dr. Rajeev Kumar, Chefarzt und Mitbegründer des südindischen Akanta Ayurveda & Yoga Resort beschreibt im Interview, wie die Ayurveda-Philosophie Depressionen erklärt und wie er diese erfolgreich behandelt.
Was ist Ayurveda – in wenigen Worten erklärt?
Dr. Kumar: Die ayurvedische Medizin und Philosophie sieht den Menschen immer in seinem Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele. Grundlage jeder Behandlung sind die drei Doshas (Körpertypen) Vata, Pitta und Kapha, in denen sich die fünf Elemente Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde manifestieren. Diese steuern die physiologischen und psychologischen Prozesse im Körper und sind bei jedem Menschen individuell ausgeprägt. Vata steht unter anderem für Bewegung, Leichtigkeit und Kreativität, Pitta für Veränderung, Schnelligkeit und Power, Kapha für Stabilität, Struktur und Ruhe. Bei jedem Menschen dominieren die Doshas unterschiedlich. Gerät allerdings das dominierende Dosha aus dem Gleichgewicht, können Krankheiten entstehen – körperliche wie seelische.
Wie erklärt Ayurveda Depressionen?
Depression ist aus ayurvedischer Sicht kein rein psychisches, sondern ein systemisches Problem. Der Ayurveda-Arzt, der stets die wechselseitige Verbindung von Körper und Geist betrachtet, analysiert die jeweilige Störung der Doshas. Diese Störung ist immer ein Zuviel. Ein Übermaß an Kapha führt beispielsweise zu Antriebslosigkeit, starker Müdigkeit, Schwere der Gedanken und Rückzug. Eine durch erhöhtes Vata dominierte Depression kann sich in ständigen Angstgefühlen, Schlaflosigkeit und Gedankenkreisen zeigen. Und wessen Pitta stark erhöht ist, der ist eher gereizt, je nach Ausprägung geradezu aggressiv und steckt gleichzeitig voller Selbstkritik.
Welche Ursachen sieht Ayurveda für Depressionen?
Es gibt verschiedene Auslöser. Emotionen können Doshas beeinflussen und ins Ungleichgewicht bringen. Sorge und Stress erhöhen Vata, ständige Aggressionen und negative Gedanken verstärken Pitta. Zudem begünstigen Blockaden in den Srotas, wie die inneren Kanäle genannt werden, psychische Beschwerden. Diese Bahnen transportieren Informationen, zum Beispiel zu unseren Gedanken, aber auch zu aufgenommener Nahrung und setzen dadurch Impulse. Sind diese über eine längere Zeit negativer Natur, schwächen sie die geistige Energie. Den besonders sensiblen Kanal des Geistes (Manovaha Srota) können beispielsweise dauerhaft falsche und schlechte Ernährung oder stundenlange Social-Media-Nutzung blockieren. Im Ayurveda gehen wir davon aus, dass der Körper zunächst einige dieser negativen Impulse kompensieren kann. Sobald aber die Belastungsgrenze erreicht ist, fährt das System hinunter und die Krankheit beginnt. Das kann ganz schnell gehen.
Worin unterscheidet sich Ayurveda von der westlichen Medizin im Umgang mit Depressionen?
Die westliche Medizin behandelt häufig vor allem die Symptome, und das dann meist mit der Gabe von Psychopharmaka. Ayurveda hingegen sucht nach den Ursachen auf körperlicher, emotionaler und spiritueller Ebene des Menschen. Das schließt übrigens die westliche Medikation nicht grundsätzlich aus: Ein kombinierter Ansatz kann sehr sinnvoll sein, um kurzfristig zu stabilisieren und gleichzeitig langfristig zu heilen. Ayurveda wirkt nicht durch Belehrung, sondern durch sanftes Bewusstmachen. Depression kann ein innerer Weckruf sein, innezuhalten, zu reflektieren und sich neu auszurichten. Diese Sichtweise bietet die Möglichkeit, in der Krise zu wachsen und zu mehr eigenem Mitgefühl, Verständnis und innerer Klarheit zu finden.
Was erwartet Betroffene im Akanta Ayurveda & Yoga Resort?
Jede Behandlung beginnt mit einer Analyse der Konstitution, also dem Zustand der Doshas. Gleichzeitig schauen wir uns die Emotionslage der Patienten an. Darauf aufbauend entsteht ein personalisierter Therapieplan, der unterschiedliche ayurvedische Anwendungen beinhaltet. Dazu gehören individuelle Ölmassagen und Stirngüsse, aber auch Yoga, Meditation und zahlreiche Atemübungen. Diese Therapien kombinieren wir mit regelmäßigen Reflexionsgesprächen. Ziel ist nicht nur die Reinigung des Körpers, sondern auch die Befreiung des Geistes und die Abkehr von alten Glaubenssätzen. Selbstliebe ist ein sehr wichtiger Teil der Genesung. Erst wer sich selbst liebt und akzeptiert, kann an seinen Problemen arbeiten.
Wie lange sollte der Aufenthalt im Ayurvedaresort sein?
Die Schwere der Depression bestimmt die Länge der Kur. Diese sollte mindestens 14, besser 21 Tage oder sogar länger dauern. Erste Veränderungen zeigen sich oft rasch, nachhaltige Wirkung benötigt jedoch Zeit und die Bereitschaft, Neues in den Alltag zu integrieren.
Gibt es Tipps, die bereits vor einer Ayurvedakur in Momenten emotionaler Überwältigung angewandt werden können?
Heilung beginnt oft mit kleinen, aber wirkungsvollen Impulsen. Übermannen einen plötzlich die Gefühle, kann bereits eine warme Dusche das Nervensystem beruhigen und kurzfristige Hilfe bieten. Das Wasser lockert die Muskulatur, steigert die Durchblutung, verbessert so die Sauerstoffversorgung des Körpers und kann zugleich die Freisetzung von Endorphinen anregen. Auch einfache Yoga-Übungen wie die Bergstellung Tadasana bringen das Prana – die Lebensenergie – in Fluss und rücken Probleme ins richtige Licht. Einfach im Stehen die Hände 30 Sekunden gen Himmel strecken und tief atmen.
Nach seinem Studium an Ayurveda- und Yoga-Hochschulen sowie einer Spezialisierung in Kaya Chikitsa (Innere Medizin) leitet Dr. Rajeev Kumar gemeinsam mit Dr. Seetha Lekshmi das angesehene Sree Rudravilasam Vaidyasala Ayurveda Hospital and Research Center, das 1952 von Panditarajan Sri Trikkovil Rama Warrier, damaliger Palastarzt der Königsfamilie von Kochi, gegründet wurde. Im Akanta Ayurveda & Yoga Resort in Kerala/Indien vereint das Medizinerduo authentische Ayurveda-Behandlungen mit zeitgemäßem Komfort – und bewahrt dabei die Werte, das Wissen und die spirituelle Tiefe der jahrtausendealten Heilkunde.
Weitere Informationen
Akanta Ayurveda & Yoga Resort: www.akantaayur.com
Aufenthalt inklusive Ayurvedakur ab 145 Euro/Nacht
Sree Rudravilasam Vaidyasala Ayurveda Hospital and Research Center: www.srvayurveda.com