Noch vor wenigen Jahrzehnten fraßen riesige Braunkohlebagger gigantische Löcher in die Landschaft zwischen Berlin und Dresden. Ganze Dörfer fielen dort dem Abbau der Braunkohle zum Opfer. Hinzu kamen Kraftwerke und Industrieanlagen zur Veredlung der Kohle, verbunden mit großen ökologischen Schäden. Die Wiedervereinigung brachte der Region die Schließung der meisten Gruben und Fabriken. Hohe Arbeitslosigkeit und Abwanderung der Bevölkerung waren die Folgen. Mit innovativen Ideen wurde versucht, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Das Resultat kann sich sehen lassen – mit mehr als 20 gefluteten Seen und schiffbaren Kanälen ist die größte von Menschenhand geschaffene Wasserlandschaft Europas entstanden. Doch die Erinnerung an die Bergbauära bleibt lebendig – ehemalige Kraftwerke, Förderanlagen und Brikettfabriken sind heute attraktive Museen, die ihresgleichen suchen und den Tourismus in der gesamten Region beleben.
Autor und Bilder: Detlef Berg
An den IBA-Terrassen in Großräschen treffe ich Betriebsleiter Steffen Schwadt. „IBA, das steht für Internationale Bauausstellung. Mit über 30 Projekten war es ein breit angelegtes Zukunftsprogramm für unseren Landstrich und sollte Impulse für den Strukturwandel setzen“, berichtet Schwadt. Da, wo heute das Wasser des Großräscherner Sees glitzert, endete bis vor gut 20 Jahren die Zivilisation. Zu sehen war nur eine staubige Wüste, die der Tagebau Meuro hinterlassen hatte. Die gigantische Menge von 342 Millionen Tonnen Braunkohle wurde abgebaut. „Auch der Ortsteil Bückgen fiel den Baggern zum Opfer. Rund 4 000 Menschen mussten wegen der Braunkohle in den 1980er Jahren ihre Heimat mit den schönen alten Klinkerhäusern verlassen. Den Älteren ist das sicher schwer gefallen. Ich war damals im Jugendalter, wir haben uns wenig Gedanken gemacht und die Ruinen im verlassenen Dorf einfach nur interessant gefunden“, erinnert sich Schwadt. Heute ist er froh, dass hier ein 820 Hektar großer See entstanden ist, zu dem auch ein Stadthafen mit Promenade und Bootsliegeplätzen gehört. An den Bergbau erinnert jetzt nur noch ein stählerner, 66 Meter langer Teil einer Förderanlage, der als Seebrücke auch ein erstes Zeichen für den Neuanfang von Großräschen als Seestadt ist. „Vom Bergmann zum Seemann, das könnte als plakatives Motto für unseren Strukturwandel stehen“, sagt Schwadt. Oder zum Winzer. 2011 pflanzte Dr. Andreas Wobar die ersten Reben am Ufer des Großräschener Sees. „Es sind die steilsten Weinberglagen in der Niederlausitz“, erfahren wir vom Landwirt. „Wir haben auf PIWIS gesetzt, robuste Neuzüchtungen ohne Gentechnik, die kaum Pflanzenschutzmittel benötigen“. Die Weine überzeugen – der trockene Solaris zum Beispiel funkelt goldgelb im Glas und zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Fruchtaroma aus. Zum Wohl!
Großräschen ist auch ein idealer Ausgangspunkt für Radtouren. 18 Kilometer lang ist allein die Strecke rund um den See. Auf der Seenland-Route, die ebenfalls am Großräschener See beginnt, können Besucher den Landschaftswechsel der Region sogar auf rund 190 entspannten Radfahrkilometern erleben. Am Wegesrand präsentiert sich eine attraktive Naturvielfalt. Sie reicht von steilen Ufern über helle Sandstrände bis hin zu unzähligen Kanälen und Schleusen. Wer mag, kann sich auch für eine thematische Radtour entscheiden. Bei der „Land und Leute Tour“ zum Beispiel radelt man auf den Spuren des Schriftstellers Erwin Strittmatter und die 40 Kilometer lange „Gartenstädte-Tour“ macht mit denkmalgeschützten Werkssiedlungen Marga, Erika und Lauta-Nord vertraut. Spannung verspricht die Radtour „Dem Wolf auf der Fährte“. Dem gefährlichen Raubtier wird man dabei wohl kaum begegnen, aber man lernt seine Lebensweise in der Lausitz kennen.
Wir entscheiden uns für eine Tour auf dem Wasser, mieten ein 15 PS starkes Motorboot am Stadthafen des Senftenberger Sees. Das dürfen auch Hobbykapitäne ohne Bootsführerschein steuern. Nach einer kurzen Einweisung starten wir den Motor, machen uns mit dem Boot vertraut. Die Fahrt soll bis zum Partwitzer See und zurück führen. Problemlos tuckern wir an einer Insel im See vorbei und nehmen Kurs auf eine Kanaleinfahrt. Die Fahrt durch den etwa 1 000 Meter langen Koschener Kanal erfordert etwas Geschick. Zwei Tunnel und eine Schleuse machen sie zu einem spannenden Erlebnis. Dann haben wir den Geierswalder See erreicht. Wir staunen über einen Leuchtturm, der maritimes Flair in die Landschaft zaubert. Der rot-weiße Turm ist Teil eines Hotels mit schöner Terrasse und Badestrand. Später sehen wir sogar schwimmende Ferienhäuser auf dem See. Warum nicht mal auf dem Wasser übernachten? Durch den Barbara-Kanal schippern wir weiter bis zum Partwitzer See, auf dem wir den Motor schon mal aufdrehen dürfen. Am Ufer leuchten bunte Ferienhäuser, auf dem Weg oberhalb der Böschung sind Reiter und Radler unterwegs. Es wird Zeit zurückzuschippern. Künftig werden zehn Seen über Kanäle verbunden sein, erfahren wir von der Bootsvermieterin. Dann wird es richtig interessant für Urlauber, die mal eine ganze Woche ein Boort chartern oder in Haus- und Kajütbooten auf dem Wasser übernachten wollen.
Der nächste Tag steht ganz im Zeichen der Industriegeschichte. „Die Abraumförderbrücke F60 müsst ihr Euch unbedingt ansehen“, hatte uns Steffen Schwadt ans Herz gelegt. Mit 502 Meter Länge, 204 Meter Breite und einem Gewicht von mehr als 11 000 Tonnen ist die F60 auch als „Liegender Eiffelturm der Lausitz“ bekannt. Nur 13 Monate schob sich die größte bewegliche Arbeitsmaschine der Welt im Tagebau Klettwitz-Nord durch die Landschaft bei Lichterfeld. Mit Hilfe zweier Eimerkettenbagger legte der Stahlkoloss Meter für Meter den Weg zur Braunkohle, dem Lausitzer Gold, frei. Mit der Wende war Schluß damit. Engagierten Bergleuten ist zu verdanken, dass die F60 als Industriedenkmal erhalten wurde und heute als Besucherbergwerk besichtigt werden kann. Wir klettern im Rahmen einer Führung fast 80 Meter in die Höhe, lassen uns den Wind um die Nase wehen. Beeindruckend sind auch Leitstand und Rechnerhaus, die das Monstrum steuerten.
Wer einen noch aktiven Tagebau erleben will, fährt zum excursio-Besucherzentrum nach Welzow. Zur Einstimmung gibt es einen interessanten Film „80 Jahre Landschaftswandel in 8 Minuten“. Danach verpasst uns Siegfried Laumen, Vermessungstechniker im Bergbau und engagiert im Bergbautourismus erstmal einen gelben Schutzhelm. Mit dem Jeep geht es dann direkt in den Tagebau hinein: „Heute wird mit modernster Technik gearbeitet, fast alles ist automatisiert. Die Raupen werden mit GPS gelenkt,“ erklärt Laumen. Beeindruckend, wie die riesige Anlage den Abraum über der Kohle wegbaggert. Wir sehen auch die freigelegten dunklen Kohleflöze und scheinbar endlose Transportbänder, auf denen das Gold der Lausitz transportiert wird. Wer wissen will, wie aus der Kohle Strom wird, kann das bei einer Führung durch das Kraftwerk Schwarze Pumpe erleben. Es gehört zu den modernsten und saubersten Braunkohle-Großkraftwerken und besteht aus zwei Kraftwerksblöcken mit einer Leistung von je 800 Megawatt.
Eine Kathedrale der Arbeit steht in Knappenrode. In der gigantischen Energiefabrik wurden bis 1993 67 Millionen Tonnen Briketts gepresst. Heute bildet die backsteinrote Brikettfabrik nur noch eine Kulisse für spektakuläre Ausstellungswelten. Im ehemaligen Betriebsgeände mit seinen original erhaltenen Sieben, Trocknern und Pressen hängt immer noch der Geruch von Kohlenstaub und Maschinenöl. Arbeiter und Arbeiterinnen kommen in Videos zu Wort und machen unseren Rundgang zu einer spannenden Zeitreise.
Den Besuch meines Geburtsortes Klitten habe ich ganz ans Ende der Reise gestellt. Vor der Wende war die Stimmung schlecht – das jahrhundertalte Dorf sollte einem Tagebau weichen, war dem Verfall preisgegeben. Heute macht der vor den Toren der Gemeinde liegende Bärwalder See, es ist das größte Gewässer von Sachsen, Klitten zu einer Hafenstadt. Der ausgekohlte Tagebau wurde geflutet und ist zu einem beliebten Domizil für Wassersportfreunde geworden. Es gibt zahlreiche Pensionen, und wer auf dem Campingplatz nicht auf einer Iso-Matte schlafen möchte, bucht eines der Safarizelte. Glamping heißt es auch hier – die Luxuszelte bieten gemütliche Betten, eine voll ausgestattete Küche und eine leicht erhöhte überdachte Terrasse mit einem Traumblick auf den Bärwalder See.