Auf den Spuren des Glases im „Crystal Valley“

Urs Huebscher Von Urs Huebscher
6 Min. Lesezeit

Die Geschichte des Glasmacherhandwerks im Norden der Tschechischen Republik ist 600Jahre alt. Das «Crystal Valley» liegt in der Region Liberec (deutsch: Reichenberg), nicht weit vom Dreiländereck mit Polen und Deutschland entfernt. Es beginnt bei Kamenický Šenov (deutsch: Steinschönau) und endet in Harrachov (deutsch: Harrachsdorf). Die Schönheit dieser Gegend ist geprägt durch die Berge des Jeschken, des Isergebirges und des Riesengebirges,…

Hier fanden die Glasmacher alles, was für ihre in höllischer Hitze erschaffenen zerbrechlichen Wunderwerke nötig war. Allem voran gab es ausreichend hartes Holz (Buchenholz), dann Wasser und natürlich Sand (Quarzsand), Kalk und Soda. Holz brauchte man nicht nur zur ständigen Befeuerung der Glasöfen, sondern auch zur Herstellung von Pottasche. Diese gewannen die Glasmacher auf eine bemerkenswerte Weise: Sie bohrten ein Loch in einen Buchen- oder Ahornstamm und entzündeten ein Feuer, welches den Stamm nach und nach ausbrannte, sodass nur noch die Asche zurückblieb, die sie dann in Wasser auslaugten, eindampften und filterten. Aus diesen Zutaten wird auch heute noch der Glassatz angemischt und im Ofen geschmolzen.

Alte Tradition verschmilzt mit der Moderne
Anfangs war das Sortiment überall gleich: Rosenkranzperlen, Fensterglas, Butzenscheiben, dann auch Hohlglas. Die meistens heutigen Erzeugnisse der Glasmacher sind Auftragsarbeiten und die Kundenwünsche wurden immer individueller. So wurden ständig neue Techniken und Verfahren entwickelt und die einzelnen Glasmacher im Crystal Valley begannen, sich voneinander abzuheben und sich zu spezialisieren. In Nový Bor entwirft die Firma Lasvit spektakuläre Lüster oder den Pokal der Tour de France; in der «Mini-Glashütte» Pačinek in Kunratice u Cvikova gestattet uns einer der bedeutendsten Glasdesigner der Gegenwart einen Blick hinter die Kulissen. In seinem Kristallgarten vermischen sich Natur und Kunst zu einem einzigartigen Ensemble. Und der alten Dorfkirche hauchte er mit seiner Glaskunst wieder neues Leben ein.

Heiss und zerbrechlich
Wir besuchen die Glashütte Harrachov, die älteste Glashütte Mitteleuropas, die auch heute noch auf traditionelle Art mundgeblasene Kostbarkeiten fertigt. Wie die Glasmacher heute arbeiten, so wurde auch schon vor Jahrhunderten gefertigt. Die Werkzeuge sind fast gleich geblieben.
Wir dürfen zusehen, wie ein Weinglas entsteht, jedes einzelne ein Unikat. Bevor die Glasbläser aber ihre spektakuläre Arbeit beginnen können, ist ein Drechsler gefragt. Ausgangsmaterial ist ein Buchenholzblock. Mit einem Drechseleisen höhlt er nach Augenmass präzise die Form für das spätere Glas aus. Denn das menschliche Auge akzeptiert später keine Abweichungen.

Nun können die Glasbläser beginnen: An der «Glasmacherpfeife» erhitzen sie das noch sehr zähflüssige Glas solange, bis es eine honigartige Konsistenz hat (auf 1215Grad Celsius). Die Temperatur muss exakt stimmen: Falls sie zu warm ist, bekommt der Glasmacher das Glas beim «Kelchen» nicht aus der Holzform, falls sie zu kalt ist, kann er den Stiel und
den Boden nicht mehr richtig anbringen. Ein «heisser» Job, bei dem die Arbeiter sogar Bier trinken dürfen, um ihren Mineralhaushalt aufrechtzuerhalten.

Um einen optimalen Produktionsablauf zu gewährleisten, arbeiten die Glasmacher immer im Team. Den Anfang macht der sogenannte Köbelmacher, der eine kleine Menge Glas entnimmt und es zu einer Glasblase bläst. Dann taucht er es nochmals in den Ofen und entnimmt die benötigte Menge der heissen Masse. Der «Einbläser» bläst den Kelch des Glases, indem er die Masse in die bereitgestellte Holzform des Drechslers einbläst. Kaltes Wasser sorgt dafür, dass das Holz kein Feuer fängt. Nun zieht der Meister den Stiel durch behutsames Ziehen in die gewünschte
Länge. Spätestens jetzt wird uns klar: Hier sind absolute Spezialisten mit jeder Menge Erfahrung am Werk, sollen doch später alle Gläser gleich hoch werden.

Und schon verlangt der nächste Arbeitsschritt die Aufmerksamkeit des Glasbläsers: Er wird mit dem Material für den Fuss des Gefässes versorgt und formt mit einer Holzklemme eine Scheibe am Ende des Glases. Dieser ganze Vorgang dauert nur circa 15Minuten. Sobald das Glas seine
endgültige Form erhalten hat, übernimmt der «Einträger» – er trennt die Glasmacherpfeife ab und bringt das Gefäss zum Verweilen in einen speziellen Ofen, wo das immer noch heisse Material behutsam heruntergekühlt wird. Für verschiedene Farbwünsche stehen Färbemittel bereit, die dem Glassatz beigemischt werden können. Wir sind schwer
beeindruckt von dieser doch harten Arbeit.

Berühmte Namen…
… wie Swarowski oder Riedel sind eng mit dieser Region verbunden. In Jablonec nad Nisou (deutsch: Gablenz an der Neiße) besichtigen wir das Museum für Glas und Bijouterie. In seiner Ausstellung könnten wir den ganzen Tag verbringen, sie nimmt uns mit auf eine Zeitreise des tschechischen Glases und präsentiert einzigartige Exponate verschiedenster Künstler und Epochen.

http://www.visitczechrepublic.com/

Nice to know …
• Mehr Informationen über die Lieberecer Region
kann man kostenlos bei CzechTourism anfordern:
[email protected]
• Firma Lasvit, Palackého námestí 170, 473 01 Nový Bor,
www.lasvit.com
• «Mini-Glashütte» Pačinek Glass, Kunratice u Cvikova 147,
471 55 Kunratice u Cikova, www.pacinekglass.com
• Glasfirma Rautis, Poniklá 153, 512 42 Poniklá,
www.rautis.cz
• Museum für Glas und Bijouterie, U Muzea 398/4, 466 01
Jablonec nad Nisou, www.msb-jablonec.cz

Diese Reise wurde in Zusammenarbeit mit dem Fremdenverkehrsbüro der Tschechischen Republik realisiert.

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Urs Huebscher ist seit vielen Jahren Chefredaktor und Head of des PRESTIGE Travel Magazin. Er reist seit mehr als zwanzig Jahren durch die ganze Welt und hat fast alle Ecken dieser Welt schon gesehen. Seine Reportagen sind in den Print-Ausgaben des PRESTIGE Travel und im Luxus-Magazin PRESTIGE sowie auf deren Online-Seiten zu lesen. Weiter ist er Mitglied der Vereinigung Swiss Travel Communicators, dem führenden Schweizer Netzwerk für Reisejournalismus.