2022 wird Rekordsaison für Griechenland

Urs Huebscher Von Urs Huebscher
7 Min. Lesezeit

Griechenland erwartet ein Rekordjahr im Fremdenverkehr: Mit mehr Touristinnen und Touristen als 2019, dem Jahr, bevor Corona die Welt lähmte. Und trotz Russlands Angriffskriegs in der Ukraine, Energiekrise und Inflation.

So viel Musik, so viel Tanz, so viel Essen und Trinken unter dem hellen Sommerhimmel gab es in Griechenland seit langem nicht mehr: Am 14. und 15. August 2022 feierten die Bewohnerinnen und Bewohner der griechischen Inseln endlich wieder die Panigyria, das traditionelle Volksfest zu Mariä Himmelfahrt. Und unzählige Touristen feierten mit.

In Griechenland hofft man inständig, dass die Tourismus-Saison weiter so gut läuft wie bisher. Nach wie vor ist das Land hochgradig von der Reisebranche abhängig – in guten Jahren erwirtschaftet sie mehr als 20 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Und 2022 scheint ein gutes Jahr zu werden.

Der Tourismusminister Vassilis Kikilias rechnet sogar mit mehr Besuchern als 2019, dem bisherigen Rekordjahr. Damals, im Jahr vor Corona, urlaubten 33 Millionen Menschen in Griechenland. Die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr stiegen 2019 auf 18,2 Milliarden Euro, für dieses Jahr erwartet die griechische Zentralbank Einnahmen von rund 20 Milliarden.

Eine Million Ankünfte pro Woche

Die bisherigen Zahlen sind vielversprechend: Seit Anfang August kommen jede Woche fast eine Million Touristen per Flugzeug in Griechenland an, so Minister Kikilias. Weitere Hunderttausende reisen mit dem Auto nach Chalkidiki oder Pieria in Norden des Landes, die meisten von ihnen aus den Westbalkanländern. Im Juli 2022 lief es ähnlich gut, und auch der Juni war mit 3,5 Millionen ausländischen Besucherinnen und Besuchern ein außerordentlich guter Monat.

„Wenn das bis Mitte September so weitergeht, dann überleben wir den kommenden Winter“, meint Panayiotis, der Manager einer großen Strandbar auf Naxos. Die größte Insel der Kykladen hatte im Juli 2022 fast so viele Besucher wie im Rekordjahr 2019, der August läuft bislang sogar noch besser. Es ist derzeit nicht einfach – und nicht billig – dort ein Bett zu finden. In Tourismus-Hotspots wie Mykonos, Santorini, Korfu, Kos oder Rhodos ist es fast unmöglich. Spontane Reisende, die nicht rechtzeitig gebucht haben, werden 2022 sogar noch Anfang September viel Glück und ein volles Portemonnaie brauchen, um auf diesen Inseln ein Zimmer zu finden.

Die geheimen Schätze der Athener Riviera

Juan und seine Freundin Jasmina aus Spanien haben ihre Spontaneität nicht bereut. Sie konnten Mitte August auf Santorini gar nichts mehr kriegen, also blieben sie in Athen und haben jeden Tag einen anderen Strand an der Athener Riviera entdeckt. „Es ist wunderschön und sehr bequem in der Stadt. Wir fahren mit der Straßenbahn an die Strände, das Meer ist super, angenehm warm und klar, und wenn man nicht will, braucht man nicht einmal einen teuren Sonnenschirm zu mieten“, erzählt die sonnengebräunte Jasmina, während Juan von den Kneipen der griechischen Hauptstadt schwärmt.

Im August kann man Athen besonders abends genießen. Die meisten Einwohnerinnen und Einwohner haben die Millionenstadt verlassen und sind in ihre Sommerresidenzen gezogen. Daher gibt es kaum Staus, für Athener Verhältnisse wenig Lärm – und genug freie Plätze in den Kneipen, den Tavernen und Dachgärten mit Aussicht auf die Akropolis.

Partystimmung und Kulturangebot

Auf vielen griechischen Inseln dagegen sind die Strände voll – manchmal zu voll, genauso wie Kneipen und Tavernen. Für Party-Touristinnen und Touristen ist das ideal. Aber auch für jene, die Ruhe suchen, gibt es eine große Auswahl auf weniger besuchten Inseln oder in den Bergen auf dem Festland.

Hinzu kommt im Sommer 2022 ein riesiges Kulturangebot: Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause finden unzählige Konzerte statt, an den antiken Theatern von Epidauros, Filippoi, Dion, Dodoni, Samothraki und den vielen offenen Theatern überall in Hellas gibt es allen Wochenenden Aufführungen von Tragödien, Komödien und modernen Theaterstücken. Tanzen kann man auch auf vielen kleinen Volksfesten in vielen Orten des Landes.

Boris Johnson und die Briten

Nicht einmal der Krieg gegen die Ukraine hat die Urlaubsstimmung getrübt. Sogar das Ausbleiben der Touristinnen und Touristen aus Russland, die bis 2021 für Regionen wie Chalkidiki und Kreta wichtig waren, wurde durch Gäste aus anderen Ländern ausgeglichen.

Bis Mitte August 2022 kamen die meisten Griechenland-Urlauberinnen und Urlauber aus Großbritannien, darunter auch Prominente wie Boris Johnson. Fast genauso viele Menschen reisten aus Deutschland an, danach folgten Touristinnen und Touristen aus Italien, Frankreich, Holland, der Schweiz, Österreich und Polen. Die Daten der Zentralbank zeigen zudem, dass es im Juni 2022 einen Anstieg der Besucher aus den USA von rund 50 Prozent gegenüber 2019 gab. Das freut die Tourismusbranche besonders, denn US-Amerikaner geben im Schnitt mehr Geld aus als andere Touristen.

Flughäfen ohne Chaos, Hotels ohne Personal

Die großen Überraschungen des Sommers 2022 im griechischen Fremdenverkehr sind bisher: Erstens herrschte kein Chaos auf griechischen Flughäfen. Zweitens konnten Hotels und Gastronomie nicht genug Personal finden, obwohl die Arbeitslosigkeit im Land bei über 12 Prozent liegt. Jeder fünfte Arbeitsplatz blieb unbesetzt, wie das Institut für Tourismusforschung INSETE errechnete – und das vor allem, weil die Arbeitsbedingungen und die Übernachtungsmöglichkeiten für die potentiellen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft miserabel sind.

Mittlerweile bevorzugen viele Griechinnen und Griechen, im Ausland in der Tourismusbranche zu arbeiten – sogar im exotischen Island. Denn dort finden sie bessere Arbeitsbedingungen vor und werden besser bezahlt als zuhause. Das Geld reicht dann auch für den kommenden Winter – wenn es keine Jobs im Tourismus gibt.

Foto: Sani Resorts

Quelle: dw.com

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Urs Huebscher ist seit vielen Jahren Chefredaktor und Head of des PRESTIGE Travel Magazin. Er reist seit mehr als zwanzig Jahren durch die ganze Welt und hat fast alle Ecken dieser Welt schon gesehen. Seine Reportagen sind in den Print-Ausgaben des PRESTIGE Travel und im Luxus-Magazin PRESTIGE sowie auf deren Online-Seiten zu lesen. Weiter ist er Mitglied der Vereinigung Swiss Travel Communicators, dem führenden Schweizer Netzwerk für Reisejournalismus.